Wenn die Dynamik von Nähe und Distanz in ein Ungleichgewicht rutscht
Manchmal tritt die Liebe auf den ersten Blick in ein Leben, immer endet sie in einem schleichenden Prozess: Wenn die Dynamik von Nähe und Distanz in ein Ungleichgewicht rutscht und eine Entfremdung einsetzt. „Oft herrschte eine erstaunliche Sprachlosigkeit zwischen den Ehepartnern. Der eine wusste nicht mehr, was in dem anderen vorgeht“, sagt Domvikar Hans Jürgen Rade, der sich als Diözesanrichter mit Ehenichtigkeitsverfahren im Erzbistum Paderborn beschäftigt. „Meine Aufgabe ist es, den Ehe-Sachverhalt zu klären, wobei dieses Wort gruselig ist, schließlich geht es um Beziehungen.“ Und Beziehungen seien ja immer mehr als nur ein nüchterner Sachverhalt.
Stichwörter „Eheanullierung“ und „Beziehungen“: Da fällt einem sofort die blutjunge Caroline Grimaldi, Prinzessin von Monaco ein, die dem Charme des siebzehn Jahre älteren Playboys Philipe Junot verfiel, 1978 heiratete, um sich bereits 1980 wieder scheiden zu lassen. Die gut katholische monegassische Fürstenfamilie, noch ganz verwöhnt von der Jahrhunderthochzeit zwischen Fürst Rainier und Grace Kelly, war „not amused“, rang Jahre mit dem Vatikan, dessen päpstlicher Gerichtshof einlenkte und 1992 Carolines Ehe für nichtig erklärte. Sicherlich ein Schock für jene unglücklich verheiratete Katholiken, die sich nicht so elegant aus ihrer kirchlich getrauten Ehe retten konnten. Ohne Geld, Macht und Beziehungen eben keine Annullierung lautet ein gängiges Vorurteil. „So ein Verfahren steht jedem offen“, betont Hans Jürgen Rade. „Und im Gegensatz zu vielen Vermutungen ist es mittlerweile auch kostenlos.“
Es geht nicht um Schuld oder Anprangerung
Viele Menschen wissen nicht, was sie in einem Ehenichtigkeitsverfahren erwartet. Die Stuhlbezüge im Raum jenseits des siebten Himmels sind blau, die flüchtige Farbe des Äthers und des Meeres steht für das Unwirkliche, Nichtgreifbare und Unsichtbare, aber auch für Distanz, Klarheit und Vertrauen. Das wiederum sind die Voraussetzungen für ein klärendes Beratungsgespräch.
„Gemeinsam überlegen wir, ob jemand bereit ist, sich grundsätzlich darauf einzulassen und welcher möglicher Klagegrund in Frage kommt“, so Hans Jürgen Rade „Bei dem Verfahren geht es nicht um Schuld oder Anprangerung von moralischem Missverhalten, sondern einzig und allein um die Frage, ob eine kirchlich gültige Ehe überhaupt zustande gekommen ist.“
Aufwühlende Gespräche
Seinen Worten nach geistern immer noch viele schlimme Geschichten über das Ehenichtigkeitsverfahren durch die Welt, die in Räumen wie diesen geschahen. „Es gibt viele Erfahrungsberichte, wobei Menschen nicht so freundlich behandelt wurden und sie sich moralische Vorhaltungen anhören mussten“, sagt Rade. „Diese Erfahrungen und Verletzungen sitzen tief. Noch bis in die 1980er Jahre herrschte ja ein ganz anderer Zeitgeist. Heute ist das undenkbar, was damals geschehen ist.“
Er blickt zu dem Buchregal voller Gesetzestexte: „Wir klären den Sachverhalt, ohne moralisch zu bewerten und verfolgen einen pastoralen Ansatz: Menschen in seelischer Not zu helfen.“ Das geschieht im Gespräch. Die klagende Person berichtet von Liebe, Heirat und Ehealltag. Oft ist die zivilrechtliche Scheidung schon durch und die Liebe längst Geschichte. Trotzdem seien die Gespräche oft aufwühlend. „Das ist ja ein reines Gefühlschaos. Durch Erinnerungen und Erzählungen durchleben die Betroffenen nochmal die Schmerzen und Verletzungen, die eine gescheiterte Beziehung mit sich bringt“, so Hans Jürgen Rade. „Aber es schafft auch Klarheit und erleichtert mit der gescheiterten Ehe endgültig abzuschließen.“