“Die Studierenden sind von den Themen betroffen, die sie direkt angehen”
Julia Winterboer ist Referentin für Bildung, Soziales und Kultur an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Bielefeld, bekommt also gut mit, was Studentinnen und Studenten mit Blick auf die Kirche bewegt. „Ich erlebe, dass die Studierenden sehr wohl wahrnehmen, was in der Kirche passiert“, stellt sie fest. „Es gibt unter ihnen ganz verschiedene Haltungen zu den aktuellen Themen.“ Natürlich zähle zu diesen Themen der Missbrauchsskandal oder das, was gerade im Erzbistum Köln geschehe. „Persönlich betroffen sind die Studierenden aber eher von jenen Themen, die sie direkt angehen – dass Frauen nicht gleichberechtigt sind oder die katholische Sexualmoral, die viele als lebensfremd wahrnehmen. Eine Studentin hat kürzlich die Konfession gewechselt, als aus dem Vatikan das Segnungsverbot für homosexuelle Paare kam.“
Gleichzeitig seien die Studierenden, denen sie in der KHG begegne, aber auch sehr widerstandsfähig. „Ihre Kirche vor Ort erleben sie als einen diskriminierungsfreien Raum, in dem sie sich angenommen fühlen, und deshalb bleiben sie“, so Julia Winterboer. „Während der Pandemie haben sie die ganze Kirchenpolitik oft auch bei Seite geschoben. Sie haben sich auf das Wesentliche des Glaubens konzentriert, und ihre Treue und Zuverlässigkeit fand ich sehr beeindruckend.“
Trotzdem wirke sich der Vertrauensverlust der Kirche aus, beobachtet Julia Winterboer. „Die Studentinnen und Studenten sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, außerhalb der Gemeinde über ihren Glauben zu sprechen, oder zu erzählen, dass sie sich in der KHG engagieren“, beschreibt sie. „Sie fürchten, unangenehme Fragen beantworten zu müssen – in einem Umfeld, wo Glaube und Kirche negativ bewertet werden.“
Auch mit Blick auf ihre Arbeit der Hochschulgemeinde beschäftigen sie die Folgen der Vertrauensverlustes: „Wie viele Studierende finden überhaupt den Weg zu uns?“, fragt sie. „Klar, wir waren immer schon eine kleine Gemeinde. Von unseren Angeboten her könnten wir mehr Menschen erreichen, aber ich glaube, dass es da bei vielen Vorbehalte gibt – noch verstärkt durch die aktuelle Situation.“
Auf die eigene “Marke” vertrauen
Für Kritik, auch heftige Kritik hätte sie jedenfalls ein offenes Ohr: „Ich kann mir Kritik anhören und sie auch anerkennen. Ich muss mich dann nicht gleich rechtfertigen oder erst mal schauen, ob da überhaupt etwas Wahres dran ist. Eine Kritik stellt ja nicht das Gute in Frage, sondern ist eine Chance, etwas zu ändern. Und oft stehen hinter der Kritik klare Werte, die der betreffenden Person wichtig sind. Gerechtigkeit zum Beispiel.“
Persönlich bewertet Julia Winterboer die aktuelle Situation der Kirche zuversichtlich. „Viele nehmen einen Einbruch im Vertrauen und in der Anzahl der Personen wahr, die noch Angebote von Kirche annehmen. Es ist wichtig, das ernst zu nehmen, Position zu beziehen oder die Frage zu stellen, wie es nun weiter geht. Aber es ist nicht hilfreich, sich daran festzubeißen.“
Lieber richtet sie den Blick nach vorne: „In Glaube und Tradition liegt ein großer Reichtum, und ich erlebe in der derzeitigen Situation, dass daraus viel Zuversicht, Gemeinschaft und Sprachfähigkeit neu entstehen. Vielleicht sind wir wirklich an dem ‚toten Punkt‘ gewesen, von dem Kardinal Marx gesprochen hat – und brechen jetzt neu auf.“
Was Kirche tun kann, um neues Vertrauen zu gewinnen? „Ich denke zunächst einmal, sich selbst zu vertrauen“, so Julia Winterboer. „Wenn ich mir selbst vertraue, dann hat das Auswirkungen auf die Menschen, mit denen ich arbeite. Das hat dann Anziehungskraft. Ich mache dann nicht mehr etwas, um ein Ziel zu erreichen, sondern ich bin von etwas überzeugt. Das wünsche ich mir auch von der ganzen Kirche: Mehr auf das schauen, was uns ausmacht. Wenn wir nicht mehr wissen, was „unsere Marke“ ist, worauf wir vertrauen dürfen, dann wird alles leer – und das spüren die Menschen. Schließlich ist es Gott, der den ersten Schritt geht. Diese Erkenntnis anzunehmen, verändert alles.“