„Gemeindearbeit lebt von Beziehungen. Und wenn man die nicht in guter Weise pflegen kann, gehen sie verloren.“
Annette Brinkmann, Gemeindereferentin und Ehrenamtsbeauftragte im Pastoralen Raum Am Hagener Kreuz
Gottesdienste ohne Messdiener und abgesagte Gruppentreffen – Corona hat das Engagement von Ehrenamtlichen und die Arbeit der Verbände stark beeinflusst. Ein Gespräch mit Annette Brinkmann, Gemeindereferentin und Ehrenamtsbeauftragte im Pastoralen Raum Am Hagener Kreuz, über Abbrüche und Aufbrüche in Zeiten der Pandemie.
Frau Brinkmann, was macht eine Ehrenamtsbeauftragte?
Ich bin Ansprechpartnerin bei allen Fragen rund ums Ehrenamt. Ich gewinne Menschen für ehrenamtliche Tätigkeiten, begleite sie in ihrer Arbeit, biete Fortbildungen an. Wenn sich eine Gruppe auflöst, arbeite ich mit den Menschen die Gründe dafür auf, spreche mit ihnen über die Zeit ihres Engagements und finde mit ihnen einen guten Abschluss.
Wie beeinflusst die Pandemie das Ehrenamt?
Schon vor der Pandemie war zu beobachten, dass manche Gruppen ein wenig träge geworden waren. Corona hat sich da wie ein Brandbeschleuniger ausgewirkt. Die Dinge gehen schneller zu Ende. Wir haben aktuell eine kfd, die keinen neuen Vorstand stellen kann und im Begriff ist, sich aufzulösen. Die bisherige Vorsitzende hat mir ganz klar gesagt: Ohne Corona hätten sie ihre Arbeit wohl noch etwas länger fortgeführt.
„Gemeindearbeit lebt von Beziehungen. Und wenn man die nicht in guter Weise pflegen kann, gehen sie verloren.“
Annette Brinkmann, Gemeindereferentin und Ehrenamtsbeauftragte im Pastoralen Raum Am Hagener Kreuz
Was sind die Gründe dafür, dass Engagement in der Pandemie abbricht?
Bei den Menschen unter 60 spielt sicherlich die Erschöpfung durch die Pandemie eine Rolle. Wer Beruf, Homeschooling und eventuell noch die Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen muss, der hat weder Kraft noch Zeit für die Gemeindearbeit. In unseren Verbänden engagieren sich aber hauptsächlich Menschen über 60 Jahren. Da liegt der Grund woanders.
Wo denn?
Gemeindearbeit lebt von Beziehungen. Und wenn man die nicht in guter Weise pflegen kann, gehen sie verloren. Irgendwann fühlt sich keiner mehr gebunden und es wird beliebig: Gehe ich zum Kaffeetrinken zur kfd oder zu meiner Nachbarin? Der Stellenwert der Verbände sinkt.
Warum konnten die Beziehungen nicht gehalten werden?
Digitale Angebote sind für diese Zielgruppe nicht das Richtige, weil sie weder die nötigen Endgeräte noch das Know-How haben. Und weil sie sagen: „Nein, das will ich nicht. Das ist nicht das Gleiche.“
Hat das Beziehungen halten dann bei den – technisch versierteren – Messdienern besser geklappt?
Die sind digital besser vernetzt, aber auch da lebt die Gemeinschaft von realen Treffen. Dass die gemeinsam auf dem Kirchplatz Fußball spielen oder was unternehmen. Wenn das nicht stattfinden kann, bricht auch da die Gemeinschaft weg.
Was hat denn gut funktioniert in der Pandemie?
Wir haben Wundertüten zu Ostern gepackt. Die haben alle bekommen, die das wollten oder von anderen dafür vorgeschlagen wurden. Insgesamt waren das 600 Tüten. Und für das Füllen der Tüten mit Kreuzen und Palmzweigen oder das Verteilen haben wir neue, ganz andere Ehrenamtliche gewinnen können.
„Ich fürchte die Aufgaben, die wir klassischerweise in unseren Gruppen und Verbänden haben, erfordern ein gewisses Vorwissen. Deswegen ist es wichtig, niederschwellige Angebote zu schaffen.“
Annette Brinkmann, Gemeindereferentin und Ehrenamtsbeauftragte
Woran lag das?
Es war eine klar umrissene Aufgabe. Wenn ich eine Vorstandsposition übernehme, weiß ich nicht, was in den nächsten vier Jahren auf mich zukommt. Aber so eine praktische Aufgabe ist auch Menschen zu vermitteln, die sich Vorstandsarbeit nicht zutrauen würden.
Ist das ein generelles Problem?
Ich fürchte die Aufgaben, die wir klassischerweise in unseren Gruppen und Verbänden haben, erfordern ein gewisses Vorwissen. Deswegen ist es wichtig, niederschwellige Angebote zu schaffen. Mir geht es darum, Menschen nicht von vornherein aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Fähigkeiten auszuschließen, sondern für alle ein breites Spektrum an Möglichkeiten anzubieten. Jeder ist willkommen, nicht nur die, die theologisch vorgebildet sind.
Wie können solche Angebote aussehen?
Für unsere Erstkommunionvorbereitung suchen wir jedes Jahr neue Katecheten. Und das gestaltet sich immer wieder schwierig. Deshalb haben wir ein Konzept erarbeitet, das Sonntage beinhaltet, an denen sich die Kommunionkinder hier vor Ort treffen können. Dafür braucht es Menschen, die das Mittagessen vorbereiten. Wir waren ganz erstaunt, wie viele Mütter sich meldeten und mithelfen wollten, die sich die Katechese aber nicht zugetraut hatten. Das heißt, wir haben viel mehr Möglichkeiten, Menschen einzubinden, die sich sonst gar nicht beteiligt hätten.
„Da hat die Leiterin der Spielgruppe ein digitales Angebot geschaffen, um den jungen Eltern Ideen für die Beschäftigung mit ihren Kindern zu Hause zu geben. Das ist super angekommen.“
Annette Brinkmann, Gemeindereferentin und Ehrenamtsbeauftragte
Hat die Pandemie auch individuelle Angebote hervorgebracht?
Bei mir hat sich ein neu zugezogenes Paar gemeldet. Die haben mich über die Homepage gefunden. Sie sind beide Musiker und wollten wissen, ob sie vor Altenheimen spielen könnten, um den Menschen dort eine Freude machen zu können. Oder: Noch kurz vor Corona kam eine Frau auf mich zu, die eine Spielgruppe für Kleinkinder gründen wollte. Ein Jahr lang habe ich sie begleitet, den Raum mit ihr gestaltet, Kindersicherungen angebracht und geklärt, welche Schlüssel sie bekommt und was sie versicherungstechnisch beachten muss. Wegen der Pandemie konnte sich die Gruppe nicht treffen. Da hat die Leiterin ein digitales Angebot geschaffen, um den jungen Eltern Ideen für die Beschäftigung mit ihren Kindern zu Hause zu geben. Das ist super angekommen.
Sind Angebote von Einzelpersonen ein neuer Trend im Ehrenamt?
Ja, das klassische Ehrenamt scheint derzeit durch individuelle Initiativen bereichert zu werden. Menschen möchten sich einbringen und kommen direkt mit ihren Ideen auf mich zu. Das finde ich ganz wichtig. Deshalb hoffe ich, dass das Schule macht: Wer sich bei mir meldet, bekommt Hilfe und Unterstützung bei der Umsetzung seiner Pläne. Denn wir suchen Menschen nicht, weil irgendeine Position besetzt werden muss. Sondern umgekehrt: Wer sich einbringen möchte, ist bei uns herzlich willkommen. Wir machen dann was möglich.