Gebäude älter aussehen lassen
Beliebt war die Neugotik auch deshalb, weil man mit ihr Gebäude älter aussehen lassen konnte, als sie waren, um damit an Traditionen „anzuknüpfen“, die es gar nicht gab. Nicht umsonst ist die St. Patrick’s Cathedral, Sitz des Erzbischofs von New York, ein Gebäude der Neugotik. In deutschen Landen war die Neugotik sogar ein Baustil mit politischer Botschaft. Die Gotik galt als typisch deutsch. Deshalb verfolgte das deutsche Kaiserreich nach seiner Gründung im Jahr 1871 ein neugotisches Bauprogramm, um damit Einigkeit und Größe zu demonstrieren. Im Zuge dieses Bauprogramms wurde 1890 der Turm des Ulmer Münsters vollendet, der Kölner Dom wurde gar erst im Jahr 1900 fertig, also im Jahr der Errichtung der Herz-Jesu-Kirche in Lippling. Es wurden aber nicht nur mittelalterliche Kirchen fertiggestellt, es entstanden Ende des 19. Jahrhunderts auch viele Kirchenneubauten im neugotischen Stil. Nach der Jahrhundertwende ebbte die Welle der neugotischen Kirchenbauten in Deutschland ab, auch deshalb, weil man erkannt hatte, dass die ersten himmelstrebenden Kathedralen der Gotik zuerst in Frankreich entstanden waren. Stattdessen wurde die Romanik zum deutschen Baustil deklariert und die Neuromanik blühte auf – wobei sich der historische Denkfehler dadurch nur wiederholte, denn auch die Romanik war über Frankreich nach Deutschland gekommen.