Im Sommer 2022 hatte Bundespräsident Steinmeier eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit ins Rollen gebracht. Seit Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht und damit des Zivildienstes im Jahr 2011 gibt es zwar ein freiwilliges soziales Engagement für die Gesellschaft in Form von Bundesfreiwilligendienst (BFD) und Freiwilligem Sozialen Jahr (FSJ). Dennoch klagt der Sozialsektor über die fehlenden Hände, die durch den früheren Pflichtdienst vorhanden waren. „Freiwillig“ ist in dieser Diskussion für die Caritas ein Kernbegriff, aber was bedeutet dies aus unterschiedlichen Perspektiven? Darüber diskutierten jetzt auf Einladung des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn (DiCV) im Rahmen des Reihe „Digitaldialog Position“ Vertreterinnen und Vertreter aus Caritas, Politik und nicht zuletzt Freiwilligendienstleistende selbst.
Unter Moderation von Dr. Thomas Günther (DiCV) stand dabei auch die Forderung des Deutschen Caritasverbandes im Fokus, dass die bestehenden Freiwilligendienste nicht durch eine Pflichtlösung ersetzbar seien. Dies sieht auch Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig so: „Eine aktive Förderung der Freiwilligendienste durch die Politik ist existentiell.“ Man müsse pragmatische Lösungen wie die kostenfreie Nutzung des ÖPNV, einen Anspruch auf Wohngeld, aber auch mehr gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung schaffen, dabei jedoch unbedingt weiter auf die Freiwilligkeit im sozialen Engagement setzen.
Belastungspotential oder Chance?
„Wir müssen uns fragen, was das eigentliche Ziel dieser Debatte ist“, betonte Diözesan-Caritasdirektorin Esther van Bebber. Aus ihrer Sicht bieten beide Varianten Vor- und Nachteile: Ein verpflichtendes Modell könne die gesellschaftliche Anerkennung in der Breite stärken und einer diverseren Gruppe von jungen Menschen soziales Engagement und die damit verbundenen Berufsfelder zugänglich machen. Trotzdem müsse man „das mildeste und geeignetste Mittel finden, um mehr Menschen für soziales Engagement und einen Beitrag zur Gesellschaft zu bewegen“.
Aus politischer Sicht standen sich die Positionen von Dagmar Hanses MdL (Bündnis 90/ Die Grünen) und Dr. Carsten Linnemann MdB (CDU) gegenüber. Hanses befürchtet, dass mit einem Pflichtmodell eine „Sünde an der Zukunft der jungen Generation“ begangen werde. Diese hätte schon durch die Coronapandemie genug zurückstecken müssen. Ein soziales Pflichtjahr, so die Politikerin, wäre wohl schwer mit dem Recht auf freie Berufswahl zu vereinbaren und bedeute ein mögliches Belastungspotential für soziale Einrichtungen, die dann mit nicht geeigneten Menschen ohne Motivation ihren Alltag meistern müssten. Dr. Carsten Linnemann hingegen setzt klar auf ein Pflichtjahr, würde es in Gesellschaftsjahr umformulieren und deutlich im Angebot ausweiten: von Vereinen bis Katastrophenschutz und Stiftungswesen. Außerdem müsste die Möglichkeit zu berufsbegleitenden Lösungen über mehrere Jahre mitgedacht werden, so dass die aktive Wahrnehmung gesellschaftlicher Grundaufgaben seitens des Einzelnen nicht mehr als Pflicht, sondern als sinnstiftende Aufgabe wahrgenommen würde. Es sei wichtig als Gesellschaft nicht nur Rechte, sondern eben auch Pflichten wahrzunehmen.