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Wilhelm Hohoff Priester zwischen Kirche und Karl Marx

Der "rote Priester" Wilhelm Hohoff wollte Christentum und Sozialismus versöhnen - und wurde dafür von Kirche wie Linken kritisiert

„Wir missbilligen es scharf, dass ein katholischer Geistlicher es ruhig ansieht, dass unter Berufung auf ihn Katholiken in Organisationen eintreten, in denen sie ernsten Gefahren für ihren Glauben ausgesetzt sind“ – diese harschen Worte finden sich im August 1922 im Amtsblatt des Bistums Paderborn. Mit den glaubensgefährdenden Organisationen sind Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) gemeint. Die Genossen hatten nämlich versucht, katholische Arbeiter für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Katholiken in einer Gewerkschaft. Aus heutiger Sicht ganz normal – vor 100 Jahren ein Unding.

Sozialisten gegen Katholiken – und umgekehrt

Gewerkschaften und Sozialdemokratie setzen sich damals für die Belange der Arbeiter und ihrer Familien ein. Genau wie die katholische Kirche. Trotzdem ziehen sie nicht an einem Strang, sondern bekämpfen sich erbittert. Grund dafür ist die Religionskritik der sozialistischen Vordenker Karl Marx, Friedrich Engels und August Bebel: Die Hoffnung auf ein besseres Jenseits lenke vom Elend im Diesseits ab, die obrigkeitshörigen Kirchen stabilisierten das ungerechte Klassensystem und die Wissenschaft reiche aus, um die Welt zu erklären. Umgekehrt wettert es von den Kanzeln herab gegen den gottlosen Sozialismus. Papst Pius XI. formuliert es 1931 so: „Es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein.“

Wer war der „rote Priester“?

In dieser Gemengelage erscheint Verständigung unmöglich. Und doch versucht es einer: Wilhelm Hohoff. Die bischöfliche Rüge von 1922 richtet sich nämlich gegen ihn. Kurz zuvor hatte er geschrieben: „Ich erkläre hiermit, dass ich Sozialist und Demokrat bin. Ich gehöre der sozialdemokratischen Partei aber nicht an. Insbesondere will ich nichts wissen von Unglauben und Atheismus. Ich bin gläubiger katholischer Priester.“ Es ist vielleicht kein „Hier stehe ich und kann nicht anders“-Moment, aber um Hohoffs innerste Überzeugungen geht es doch.

Hohoff entdeckt Gemeinsamkeiten zwischen Marx und Thomas von Aquin

Wilhelm Rudolf Hohoff wird im Revolutionsjahr 1848 im sauerländischen Medebach geboren. Seine Eltern ermöglichen ihm ein Studium der Theologie und der Nationalökonomie. Diese eher ungewöhnliche Fächerkombination bringt Hohoff in Kontakt mit den Theorien von Karl Marx. Und ihm fallen die Parallelen zur Wertlehre des großen mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin auf. Die zentrale Erkenntnis, die er bei beiden Autoren findet, ist, dass materielle Dinge wie Geld, Rohstoffe oder Maschinen von sich aus keinen Wert hervorbringen oder vermehren können, „sondern dass die Ursache und Quelle allen Wertes einzig und allein die menschliche Arbeit ist“.

Ein Zusammenwirken von Christentum und Sozialismus

Für Hohoff hat Marx altes, verschüttetes Wissen wiederaufgefunden. „Marx bewegt sich in der Ökonomie durchaus auf den traditionellen Bahnen der größten Denker der Vorzeit, des Aristoteles, der Kirchenväter, der älteren Scholastik und Kanonistik.“ Dem Priester schwebt ein Dialog, ein Zusammenwirken von Christentum und Sozialismus vor. Vielleicht erkennt er in beidem das gesellschaftsverändernde Potenzial. Dazu blendet er die Religionskritik von Marx und Engels freilich aus.

Bebel antwortet Hohoff: Feuer und Wasser

Ob die führenden sozialistischen Denker seiner Zeit sich gerne in einer Reihe mit den Kirchenvätern sehen? Eher nicht. Hohoffs Veröffentlichungen erregen in linken Kreisen dennoch oder gerade deswegen viel Aufmerksamkeit. Er soll regen postalischen Austausch mit Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht und Lew Trotzki geführt haben. Belegt ist der Kontakt zu August Bebel, der Hohoffs Thesen öffentlichkeitswirksam abschmettert: „Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser.“ Hohoff entgegnet darauf, „dass nicht Christentum und Sozialismus, sondern Kapitalismus und Christentum sich einander gegenüberstehen wie Wasser und Feuer“. Die Auseinandersetzung wird publiziert und findet viel Beachtung in sozialdemokratischen Kreisen – sie legt einen Grundstein für eine spätere Annäherung an die Kirche.

Kirchliche Karriere verwehrt?

Die Kirche ihrerseits ist noch lange von Annäherung entfernt. Hohoff, der nach seiner Priesterweihe 1871 erst 14 Jahre Hausgeistlicher auf Schloss Hüffe bei Lübbecke wird, bleibt die Kanonikatsstelle in Geseke verwehrt. Stattdessen wird er Vikar in Petershagen, einer Diasporagemeinde. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob er 1905 aufgrund seiner politischen Publikationen oder – wie es offiziell heißt – aus gesundheitlichen Gründen mit 57 Jahren in den Ruhestand eintritt. Jedenfalls zieht er nach Paderborn und widmet sich in seiner Wohnung am Gierswall 24 nun vollends seinen Studien. Am 10. Februar 1923 verstirbt er dort.

Späte Würdigung

Der Eintrag von 1922 ist im Amtsblatt jedoch nicht der einzige zu Wilhelm Hohoff. Ein zweiter, datiert auf das Jahr 1948, schlägt einen ganz anderen Ton an: Von großem Interesse ist die Rede. Es folgt der Aufruf, „alles zu sammeln, was von Wichtigkeit sein kann für die Bearbeitung des Lebens und des Werkes des genannten Volkswirtschaftlers.“ Noch lange bevor die katholische Kirche offiziell auf die Dialogangebote der SPD eingeht, fängt zumindest der Bistumsarchivar an, das Werk Hohoffs zu sammeln.

Hohoff heute

Und wie ist es heute, genau 100 Jahre nach Wilhelm Hohoffs Tod? Solch erbitterte Auseinandersetzungen wie damals gibt es heute nicht mehr. Die SPD hat sich von ihrer fundamentalen Religionskritik verabschiedet und sich mit dem Godesberger Programm – in dem das Christentum explizit als Grundwert aufgeführt wird – zur Volkspartei gewandelt. Katholische Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen sich in Gewerkschaften organisieren. Es gibt Konfliktthemen zwischen Kirche und Sozialdemokraten, wie etwa das Thema Abtreibung, aber es wird nicht mehr gegeneinander gekämpft, sondern miteinander diskutiert.

Vordenker der modernen katholischen Kapitalismuskritik

Wilhelm Hohoff erfährt als einer der Wegbereiter dieses heutigen Dialogs die Würdigung, die er verdient. Neben Franz Hitze – Zeitgenosse Wilhelm Hohoffs, ebenfalls Priester und erster Professor für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster – wird er als einer der Wegbereiter der katholischen Sozialforschung gesehen. Die Gedenktafel an seiner letzten Wohnstätte nennt ihn „Klassiker der modernen christlichen Kapitalkritik, Begründer des Dialoges zwischen Christen und Marxisten und bedeutender Theoretiker des christlichen Sozialismus“. Das Erzbistum Paderborn gedenkt ihm heute im Kapitelsamt und an seinem Grab auf dem Ostfriedhof. In Petershagen wird er ebenfalls heute gefeiert. Sein Geburtsort Medebach erinnert ihn mit einem Festgottesdienst am 30. April.

„In der politischen Ökonomie hat Marx die Wahrheit aufgedeckt und gezeigt, dass nicht das Geld produktiv von Wert ist, (…) dass ganz ebensowenig Produktionsmittel, Instrumente, Maschinen sich selbst oder ihren Wert vermehren können, dass auch alle Rohstoffe, Naturstoffe, Naturkräfte keinen Wert (…) hervorbringen oder produzieren können, sondern dass die Ursache und Quelle allen Wertes einzig und allein die menschliche Arbeit ist.“

Wilhelm Hohoff, Die Bedeutung der Marxschen Kapitalkritik, 1908

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