Im Interview erklärt Prof. Dr. Aaron Langenfeld, Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und Rektor der Theologischen Fakultät Paderborn, welche Botschaften in dem Papst-Schreiben „Laudate Deum“ stecken.
Laudate Deum – oder: Niemand rettet sich allein
Prof. Dr. Langenfeld, was haben Sie zuerst gedacht, als Sie das neue Schreiben von Papst Franziskus gelesen haben?
Dass der Papst sehr viele naturwissenschaftlichen Fakten einfließen lässt und Argumente aus der Naturwissenschaft übernimmt. Das ist eigentlich nicht der Aufgabenbereich eines Papstes.
Wie bewerten Sie das?
So macht Franziskus deutlich: Die Daten zeigen, dass es in eine verheerende Richtung geht. Als Theologe für mich ist es bemerkenswert, dass die höchste Autorität da sagt: Wir sollen und müssen auf die Daten und Fakten der Wissenschaft bezüglich des Klimawandels vertrauen. Wer der Wissenschaft vertraut, fragt sich automatisch: Was können wir tun, um unser Haus, die Erde, zu retten? Das ist für ihn keine Frage einer bestimmten politischen Position, sondern eine Frage von Mitmenschlichkeit, da er mehrfach aufzeigt, wie sehr soziale Probleme mit der Klimaproblematik zusammenhängen.
Seine Forderung, der Wissenschaft in Bezug auf die Klima-Krise zu vertrauen, durchzieht den gesamten Text…
Und dahinter steckt eine ganz allgemeine Botschaft von Franziskus: Vertraut darauf, dass Menschen in der Welt euch sinnvolle Sachen sagen. Er spricht das Diskreditieren von anderen Meinungen ja auch direkt an: Hassrede, Fake-News, auch in Bezug auf Covid, als die Wissenschaft einen großen Vertrauensverlust in Teilen der Gesellschaft erlitten hat. Papst Franziskus sagt nun: Die Haltung des Glaubens und das Vertrauen auf die Naturwissenschaft sind durchaus vereinbar – und können gemeinsam die Welt zum besseren verändern.
Die eigenen Grenzen in der Welt anerkennen
Neben der Klima-Krise spricht Papst Franziskus auch über technologische Fortschritte, die zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz einhergehen.
Das Papier ist dahingehend durchaus kritisch. Nicht aufgrund der Technologie an sich, sondern wegen des menschlichen Missbrauchs von Macht, der damit einhergehen kann. Der letzte Satz in „Laudate Deum“ ist hier spannend: „Denn ein Mensch, der sich anmaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen, wird zur schlimmsten Gefahr für sich selbst.“ Dies könnte genauso gut der erste Satz sein, denn darin liegt für mich der theologische Schlüssel für den gesamten Text.
Wieso?
Menschen können in der Erkenntnis ihrer Endlichkeit eine Grenze spüren. Sobald es aber eine Grenze gibt, kann ich nach der anderen Seite der Grenze fragen. Im Falle der Endlichkeit ist die andere Seite der Grenze begrifflich als das Un-endliche bestimmbar und damit das, was in der christlichen Theologie immer mit Gott in Zusammenhang gebracht wurde. Das Gespür für Gottes Wirklichkeit fällt so mit der Anerkenntnis der eigenen Grenze zusammen. Wer sich also an die Stelle Gottes setzt, glaubt, dass er oder sie unendlich ist, dass er – so wie Gott – unendliche Ressourcen zur Verfügung hat und letztlich alle Probleme der Welt lösen kann.
Und weiter bedeutet das…?
Man könnte an so etwas wie das Aufspeichern des Bewusstseins denken, das uns unsterblich machen würde. Unabhängig von der technischen Frage ist damit die Frage verbunden, was der Mensch von seinem Leben erwartet, was seine Existenz sinnvoll macht, wozu er da ist. Diesen Sinn des Lebens spricht Papst Franziskus auch offen an, das ist plötzlich ganz existenzialistisch. Unter diesem Aspekt betrachtet: Ist es mein Auftrag, möglichst großen Fortschritt für mich zu erzielen, wovon ich am meisten habe? Oder geht es im Endeffekt darum, dass ich im Umgang mit Technologie das tue, was das Beste für die Erde, für die Schöpfung ist. Das verbunden mit der durchscheinenden Kritik am Anthropozentrismus, die der Papst vornimmt, würde bedeuten: die eigenen Grenzen in der Schöpfung anzuerkennen, sich als endliches Wesen zu sehen. Die Vorstellung einer digitalen Unsterblichkeit hebt diese Endlichkeit gerade nicht auf, denn jede materielle Grundlage des Bewusstseins ist natürlich prinzipiell endlich. Übrig bleibt, wie Hegel sagt, eine ‚schlechte Unendlichkeit‘, d.h. eine vielleicht sehr lange Zeitdauer, die aber dennoch irgendwann endet.
"Niemand rettet sich allein"
„Darin sieht man das theologische Moment des Papiers: Ich bin abhängig von dem, was mir gegenübersteht und kann nicht selbst zu einer Erlösung kommen ohne das, was mir gegenübersteht. Denn Erlösung geschieht in Beziehung.“
Prof. Dr. Aaron Langenfeld
Kritik am Anthropozentrismus? Das müssen Sie kurz erklären.
Der Anthropozentrismus stellt den Menschen als „höchste“ Stufe des Daseins auf der Erde in den Mittelpunkt von Erkenntnis, Moral und Sinn . So sieht es im Wesentlichen auch die Kirche. Papst Franziskus sagt jetzt aber, dass es nur ein situativer Anthropozentrismus ist: Alles ist miteinander verbunden. Das bedeutet: Auch wir Menschen sind immer in Korrelation zu anderen Systemen, die von uns abhängig sind und von denen wir abhängig sind. Wir als die Krone der Schöpfung sind also keine absoluten Monarchen, sondern stehen in Zusammenhang mit allem anderen. Deshalb muss ich immer auch die Konsequenzen meines Handelns bedenken und hinterfragen.
Mit anderen Worten: Der Papst will uns sagen, dass alles nur gemeinsam geht und Sinn hat?
Franziskus möchte, dass wir uns gegenseitig unterstützen und sich zerstrittene Gruppierungen in einem gemeinsamen Auftrag versöhnen, ja. Das Christentum fußt auf dem Zwischenmenschlichen und Beziehungen. Wo Menschen mich aufrichten, Vertrauen haben, da kann ich neu lernen, wieder anzufangen. Deswegen ist der Papst-Appell nicht immer nur ein Appell, sondern auch ein Mutmacher: Vertraut aufeinander und vertraut auf den Glauben, denn der Glaube drängt euch dazu, die Welt besser zu machen. Wer allein handelt und nur auf sich bedacht ist, vernichtet Beziehungen und tut somit das Gegenteil.
Zwei sicher bedeutende Sätze in „Laudate Deum“ sind deshalb auch: „Niemand rettet sich allein“ und eben „Alles ist miteinander verbunden“, die Papst Franziskus zusammen aufführt.
Das Christentum drängt immer auf genau diesen Satz hin: Niemand rettet sich allein. Die Grundidee ist, dass Gott Mensch geworden ist, weil wir uns nicht selbst retten können. Dass wir den Anderen schlechthin dafür brauchen. Das macht der Papst in sehr einfacher Sprache deutlich. Und darin sieht man das theologische Moment des Papiers: Ich bin abhängig von dem, was mir gegenübersteht und kann nicht selbst zu einer Erlösung kommen ohne das, was mir gegenübersteht. Denn Erlösung geschieht in Beziehung.
"Es muss nicht alles mir allein gelingen"
Was nehme ich nun daraus mit?
Es kann ein wahnsinnig entlastender Satz sein, finde ich. Auch ich beschäftige mich oft damit, wie sehr meine eigene Lebensführung Auswirkungen auf die nächsten Generationen hat. Dieser Druck, was ich alles tun muss, um die Welt zu retten, wird dadurch aber abgefedert: „Niemand rettet sich allein.“ Ich muss nicht der Versuchung erliegen, dass ich allein alles bewerkstelligen muss. Nur Gott kann am Ende gut machen, was nicht gut ist. Und dann kann ich anfangen, die Welt besser zu machen. Weil ich weiß: Es muss nicht alles mir allein gelingen. Das ist viel Befreiendes und Entlastendes in dem Satz.
Inwiefern passt da der Titel: „Laudate Deum“ – Lobt Gott?
Er ist der tiefe christliche Glaube, dass Gott in der Gemeinschaft da ist. In dem Sakrament der Kirche selbst, da, wo die Gemeinschaft Christi gegenwärtig ist. Am Ende steht das Gotteslob gegen die Selbstüberschätzung des Einzelnen, der sich an die Stelle Gottes setzt. Die Vereinzelung vs. in Beziehung sein, das ist das Grundthema von Laudate Deum. Da wo Menschen Gott mit ihrem Herzen loben, müssen sie Abstand davon nehmen, dass sie selbst die Macht sind, die die Welt bestimmt.
Herzlichen Dank für das Gespräch.