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Erzbistum Paderborn
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Helfende Hände© REDPIXEL.PL / Shutterstock.com

FAQ zu Aufarbeitung und Anerkennung

Die Bistümer stehen in einem Spannungsfeld, die unterschiedlichen Erwartungen an sie und die Aufarbeitungsprozesse zu erfüllen. Zum einen gibt es die Erwartung der Betroffenen auf Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts und an die dazu nötige Konsequenz und Transparenz in den Aufarbeitungsschritten. Zum anderen gibt es das Recht jedes Beschuldigten auf ein gerechtes Verfahren nach geltender Rechtsordnung, das auf der Unschuldsvermutung und der Vorlage von Beweismitteln aufbaut.

Diese durch die Gesetzgebung vorgegebenen Grenzen sind für viele, auch für viele Betroffene, oft nicht nachvollziehbar. Sie sollen aber nicht dazu dienen, Hürden aufzubauen, sondern bilden vielmehr die rechtssichere Grundlage für die laufenden Aufarbeitungsprozesse.

Niedrigschwelliges Verfahren zur Anerkennung

Missbrauchsvorwürfe liegen, bevor sie bekannt werden, häufig viele Jahre zurück. Oftmals sind die Beschuldigten zu dem Zeitpunkt bereits verstorben, es können durch die Betroffenen keine Beweise erbracht werden oder die Vorwürfe sind nach staatlichem Recht bereits verjährt. Um Betroffenen daher neben ihren rechtlichen Möglichkeiten ein niedrigschwelliges Verfahren zur Anerkennung des Leids anzubieten, hat die Deutsche Bischofskonferenz die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) eingerichtet. Ein in sich schlüssiger Sachvortrag zu den dargelegten Vorwürfen reicht aus, um nach diesem Verfahren Anerkennungsleistungen zu erhalten. Ebenfalls spielen Verjährungsfristen oder der Tod eines Beschuldigten im Anerkennungsverfahren der UKA keine Rolle. Da die Angaben der Betroffenen jedoch keiner juristischen Prüfung unterliegen, ist das Verfahren zur Anerkennung des Leids kein rechtsförmiges Verfahren und es gilt weiter die Unschuldsvermutung für den Beschuldigten.

Für Klagen vor staatlichen Gerichten gelten die Vorgaben und Anforderungen des Zivilprozessrechts. Im Verfahren muss grundsätzlich der Kläger über anspruchsbegründende Umstände Beweis führen.

Um die Unterschiede der Verfahren und die Möglichkeiten für Betroffene aufzuführen, wurde das nachstehende FAQ erstellt.

Zum 1. Januar 2021 ist auf Beschluss der deutschen Bischöfe das einheitliche Verfahren zu Leistungen in Anerkennung des Leids, das Betroffenen sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde, im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz eingerichtet worden. Es löste das zuvor bereits seit 2011 bestehende Verfahren der Zentralen Koordinierungsstelle in Bonn ab.

Die Leistungen werden nach dem neuen Verfahren von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) festgesetzt und ausgezahlt. Bis zum 31. August 2023 sind bundesweit insgesamt 2.419 Anträge eingegangen, von denen 2.198 beschieden wurden.

Die Leistungen erfolgen freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Die Sachverhalte werden nicht juristisch aufgearbeitet. Es wird lediglich aufgrund der subjektiven Schilderung von Betroffenen eine Schlüssigkeitsprüfung durchgeführt. Deren Grundlage sind, nach Kontaktaufnahme mit den Unabhängigen Ansprechpersonen oder dem Team Intervention des Erzbistums Paderborn durch die Betroffene oder den Betroffenen, Gespräche mit den Ansprechpartnern sowie eine schriftliche Darstellung der Vorwürfe.

Da es für Betroffene oft nicht möglich ist, Beweise für eine Grenzverletzung oder einen Übergriff beizubringen, wird lediglich geprüft, ob die geschilderten Inhalte in ihrer Darstellung schlüssig und plausibel erscheinen und keinen objektiven Tatsachen widersprechen. Auch erfolgt die Festsetzung der Leistungen unabhängig von üblichen Verjährungsfristen. Diese niedrigschwellige Vorgehensweise soll Betroffenen Belastungen, Retraumatisierungen und Kostenrisiken, die Zivilklagen mit sich bringen können, ersparen.

Klagen vor staatlichen Zivilgerichten unterliegen den zivilrechtlichen Vorgaben und Anforderungen, sowohl auf Seiten des Klägers / der Klägerin wie des Beklagten. Dazu gehört unter anderem, dass der Kläger / die Klägerin, anders als im Anerkennungsverfahren, für den geltend gemachten Anspruch Beweis antreten muss. Auch Verjährungsfristen können eine Rolle spielen.

Verfahren zu Leistungen in Anerkennung des Leids (UKA-Verfahren) Zivilrechtliche Klage
Freiwillige Leistungen ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht, ohne juristische Prüfung Juristische Prüfung, ob Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche bestehen
Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) setzt Leistung fest und zahlt aus Zivilgericht urteilt aufgrund streitiger Verhandlungen
Freiwilliges Anerkennungsverfahren Juristisches Verfahren nach staatlichem Recht
Unabhängig von Verjährungsfristen Ansprüche unterliegen der Verjährung, die im Einzelfall geltend gemacht werden kann
Plausibilität der Missbrauchsvorwürfe ausreichend Beweisführung im Rechtssinne erforderlich, die Beweislast liegt grundsätzlich beim Anspruchssteller
Niedrigschwellig Mit Verfahrensaufwänden verbunden

Bei Schadensersatz und Schmerzensgeld handelt es sich um auf juristischem Wege festgestellte Ansprüche nach deutschem Zivilrecht. Sie werden in der Regel durch Urteil in einem Zivilprozess ausgesprochen.

Eine Leistung in Anerkennung des Leids hingegen ist eine freiwillige Leistung eigener Art im Rahmen eines kirchlichen Verfahrens. Sie wird unabhängig von Rechtsansprüchen erbracht. Dies dient der Gewährung von Leistungen an Betroffene, ohne eine gerichtliche Geltendmachung.

Die Festsetzung der materiellen Leistungen erfolgt bundesweit einheitlich durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen. Die interdisziplinär zusammengesetzte Kommission, deren Mitglieder von einem mehrheitlich nicht kirchlichen Gremium vorgeschlagen und von der Deutschen Bischofskonferenz berufen wurden, sind in ihren Entscheidungen frei. In der UKA sind weder Betroffene noch Personen vertreten, die in einem Arbeits- oder Berufsverhältnis zu einem kirchlichen Rechtsträger stehen oder standen.

Die Leistungshöhe orientiert sich am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder. Damit wird ein außerkirchlicher Bezugsrahmen herangezogen, der gesellschaftlich und der Höhe nach in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte verortet ist sowie eine fortlaufende Weiterentwicklung erfährt.

Das Verfahren zur Anerkennung des Leids kennt in der Umsetzung keine Höchstgrenze von Leistungen. In etwa acht Prozent der Fälle gehen die Leistungsfestsetzungen über 50.000 Euro hinaus. Die Ordnung sieht vor, dass bei Beträgen oberhalb von 50.000 Euro die kirchliche Institution zustimmt; diese Zustimmung ist bisher in allen Fällen erfolgt.

Das Verfahren zur Anerkennung des Leids schneidet den Betroffenen den Weg zu den staatlichen Gerichten nicht ab: Jedem / jeder Betroffenen steht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten selbstverständlich offen.

Beide Verfahren weisen grundlegende Unterschiede auf. Betroffene können im Anerkennungsverfahren Leistungen erhalten, auch wenn die Taten sich nicht mehr genau ermitteln lassen oder verjährt sind. Ein Beweis im Rechtssinne muss nicht geführt werden. Zu diesem niederschwelligen Verfahren haben sich die Bischöfe entschlossen, um Betroffenen unter anderem Belastungen, Retraumatisierungen sowie erhebliche Kostenrisiken zu ersparen. Betroffene werden durch diese Verfahren nicht daran gehindert, eine Klage vor einem staatlichen Zivilgericht einzureichen.

Das Verfahren zur Anerkennung des Leids ist allerdings kein rechtsförmiges Verfahren. Ein in sich schlüssiger Sachvortrag zu den dargelegten Vorwürfen reicht aus, um das Verfahren in Gang zu setzen. Da die Angaben jedoch keiner juristischen Prüfung unterliegen, gilt weiter die Unschuldsvermutung für den Beschuldigten.

Für Klagen vor staatlichen Gerichten gelten die Vorgaben und Anforderungen des Zivilprozessrechts. Im Verfahren muss grundsätzlich die klagende Person über anspruchsbegründende Umstände Beweis führen. Dabei gilt als zugestanden, was der oder die Beklagte nicht bestreitet. Es kann aber nicht zugestanden werden, was nicht sicher feststeht (etwa durch Geständnisse Beschuldigter, Zeugenberichte oder Strafurteile), da es hier um formale Rechtsansprüche geht.

In der Schwierigkeit der Beweisführung liegt leider oftmals ein Dilemma für die Betroffenen, dem mit dem Anerkennungsverfahren begegnet werden soll.

Das Erzbistum Paderborn nimmt jeden konkreten Fall und Verdachtsfall von Missbrauch sehr ernst. Betroffene finden insbesondere im Team Intervention kompetente Ansprechpersonen, die ihre Anliegen aufnehmen und beispielsweise bei der Antragsstellung zur Anerkennung des Leids unterstützen. Bei allen kirchlichen und kirchenrechtlichen Schritten im Umgang mit Betroffenen ist das Erzbistum bemüht, ihre Perspektive und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen und diesen entgegenzukommen.

Auch im Rahmen möglicher Zivilklagen geht es nicht darum, dass das Erzbistum Betroffenen keinen Glauben schenkt. Vielmehr bedeutet ein zivilprozessualer Weg, dass staatliche Gerichte über die Justitiabilität von Sachverhalten urteilen. Für Kläger und Klägerinnen und Beklagte gelten in diesen Verfahren ausschließlich die Regeln des staatlichen Rechts.

Zivilklagen und das kircheneigene UKA-Verfahren der Anerkennungsleistungen schließen sich nicht aus. Beide Verfahren stehen nebeneinander, folgen aber ihrer jeweils eigenen Logik. Wenn Betroffene bereits einen Antrag im UKA-Verfahren gestellt haben, können sie dennoch eine staatliche Zivilklage einreichen. Im Unterschied zum kirchlichen Anerkennungsverfahren müssen Betroffene im Zivilprozess einen Vollbeweis ihrer Missbrauchsvorwürfe erbringen. Dies gilt auch, wenn die durch sie vorgetragenen Vorwürfe bereits von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen als plausibel eingestuft wurden.

Im Zivilrechtsweg kann die Frage, ob die im Anerkennungsverfahren geleisteten Zahlungen angerechnet werden, eine Rolle spielen. In umgekehrter Richtung soll sich die Höhe der Anerkennungsleistungen „am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgelder“ orientieren.

Das Erzbistum Paderborn wird nicht auf außergerichtliche Vergleiche hinwirken, sondern sich im Fall zivilrechtlicher Klagen dem staatlichen Gericht als unabhängiger dritter Instanz stellen. Das Erzbistum ist überzeugt, dass Vergleichsverhandlungen mit einzelnen Betroffenen das etablierte kirchliche Verfahren freiwilliger Anerkennungsleistungen, das einheitlich für alle vom Missbrauch Betroffenen gilt, delegitimieren würde. Die Bischöfe würden in diesem Fall in die Rolle kommen, über Art und Höhe von Leistungen selber entscheiden zu müssen. Im UKA- sowie in Zivilverfahren entscheidet hingegen eine unabhängige dritte Instanz.

In einem Zivilprozess ist die Einrede der Verjährung ein legitimes juristisches Instrument. In besonders begründeten Ausnahmefällen kann es geboten sein, auf dieses Instrument zu verzichten. Bei möglichen Zivilrechtsklagen von Missbrauchsbetroffenen wird das Erzbistum Paderborn jeden Einzelfall diesbezüglich verantwortungsbewusst prüfen.

Das Erzbistum Paderborn nimmt jeden konkreten Fall und jeden Verdachtsfall im Sinne der DBK-Leitlinien von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt sehr ernst. Opfer sexuellen Missbrauchs oder deren Angehörige können sich jederzeit an zwei unabhängige Ansprechpersonen wenden. Diese begleiten und unterstützen auch bei der Antragsstellung auf Leistungen in Anerkennung des Leids.

Der Interventionsbeauftragte des Erzbistums und sein Team unterstützen die Arbeit der Ansprechpersonen aus dem Erzbischöflichen Generalvikariat heraus. Der Interventionsbeauftragte koordiniert federführend in einem angezeigten Missbrauchsfall alle notwendigen Maßnahmen.

Im August 2019 wurde eine Studie auf den Weg gebracht, die ein unabhängiges Forschungsteam der Universität Paderborn zum Thema: „Missbrauch im Erzbistum Paderborn – Eine kirchenhistorische Einordnung. Die Amtszeiten von Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt (1941-2002)“ bearbeitet. Das Forschungsprojekt soll unabhängige Erkenntnisse zum Umfang des Missbrauchs, über die Gewalterfahrungen der Betroffenen sowie zu den Umgangsweisen der Verantwortlichen darstellen. Es wurde im Frühling 2023 erweitert: Die unabhängige Aufarbeitungskommission im Erzbistum Paderborn hat unmittelbar nach ihrer Gründung im Sommer 2022 empfohlen, auch die Amtszeit von Erzbischof em. Hans-Josef Becker, also die Jahre 2002 bis 2022, in die Forschung einzubeziehen.

Seit Februar 2022 gibt es im Erzbistum Paderborn zudem eine Betroffenenvertretung, die ebenfalls frei und eigenständig agiert. Die unabhängige diözesane Aufarbeitungskommission und die Betroffenenvertretung werden in ihrer Arbeit wie alle Verantwortlichen für die Aufarbeitungsprozesse seitens des Erzbistums umfänglich unterstützt.

Das Team Prävention im Erzbischöflichen Generalvikariat leistet seit vielen Jahren durch Präventionsschulungen und die Begleitung bei der Erarbeitung institutioneller Schutzkonzepte wertvolle Arbeit, um Mitarbeitende in Seelsorge, Schulen oder Einrichtungen des Erzbistums für das Thema sexuelle Gewalt zu sensibilisieren.

Missbrauchsbetroffene wählen sehr unterschiedliche, individuelle Wege zum Umgang mit dem erlittenen Unrecht. Manche Betroffene möchten keinen Kontakt oder mit dem Kapitel ihres Lebens abschließen, andere möchten ihre Erfahrungen aktiv kommunizieren, sich in Interessenvertretungen einbringen oder die Aufarbeitungsprozesse sowie die Präventionsarbeit unterstützen. Die Erzdiözese bemüht sich im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch um einen aufrichtigen und konstruktiven Dialog mit Betroffenen. Ausdrücklich würdigt das Erzbistum Paderborn das Engagement, das Betroffene in der unabhängigen Aufarbeitungskommission und in der Betroffenenvertretung der Erzdiözese leisten.

Es ist schwierig, von „den“ Betroffenen im Allgemeinen zu sprechen, da die Erfahrungen, Bedürfnisse und Erwartungen jeder Person individuell sehr unterschiedlich sein können. Im Besonderen ist das Team Intervention im Erzbischöflichen Generalvikariat eine etablierte Anlaufstelle für Betroffene. Das Team hält den Kontakt insbesondere auch zur Betroffenenvertretung sowie zur Unabhängigen Aufarbeitungskommission, der ebenfalls die Sprecher der Betroffenenvertretung angehören. Bei allen Kontakten ist das Erzbistum bemüht, Betroffenen auf Augenhöhe zu begegnen und nimmt ihre Anliegen ernst.

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