Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird von Professorin Dr. Nicole Priesching, Inhaberin des Lehrstuhls für Religions- und Kirchengeschichte an der Universität Paderborn, geleitet. Am 15. Februar hat Dr. des. Christine Hartig, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl, mit der Bearbeitung des Forschungsauftrags begonnen. Für eine umfassende Aufarbeitung hat Generalvikar Alfons Hardt uneingeschränkten Aktenzugang zugesichert. Die beiden Wissenschaftlerinnen unterliegen keiner Weisungsbefugnis des Erzbistums und sind in der Gestaltung ihrer Arbeit unabhängig.
Ausmaß und Folgen lange unterschätzt
„Es gilt herauszufinden, welche Personenkreise innerhalb der Kirche von Missbrauchsfällen wussten, wie Entscheidungen über das Ergreifen oder Unterlassen weiterer Maßnahmen getroffen wurden und ob strukturelle Bedingungen existierten, die Missbrauchshandlungen fördern konnten“, erklärt Priesching. Alle bisherigen Forschungsergebnisse legen der Wissenschaftlerin zufolge nahe, dass sich die kirchlichen Institutionen lange vor einer Auseinandersetzung mit diesem Thema gescheut und so das Leid der Betroffenen nicht ausreichend anerkannt haben. „Auch gesamtgesellschaftlich wurden Ausmaß und Folgen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen anhaltend unterschätzt und als ‚Ausnahmehandlung‘ betrachtet. Vor diesem Hintergrund sollen auch die kirchlichen, juristischen und medizinischen Fachdebatten analysiert werden, die eine solche Haltung begünstigt haben“, so Priesching weiter.
Zusammenarbeit mit Betroffenen
„Mit dem Forschungsprojekt haben wir für das Erzbistum Paderborn einen guten Ansatz für eine unabhängige Aufarbeitung – auch im Sinne der deutschen Bischöfe – auf den Weg gebracht“, so Generalvikar Alfons Hardt. „Wir wollen die Vorgänge, Haltungen und Bedingungen der Vergangenheit ganzheitlich verstehen lernen und die Erkenntnisse in unsere Interventions- und Präventionsarbeit einfließen lassen“.
Neben der Analyse administrativer Quellen aus kirchlichen und staatlichen Archiven, darunter Personal- und Strafakten, sind Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geplant. In den nächsten Monaten soll ein öffentlicher Aufruf gestartet werden, um potenzielle Interviewpartnerinnen und -partner anzusprechen. Ein wichtiges Anliegen des Projekts ist es auch, in Zusammenarbeit mit Betroffenen einen Beirat einzurichten. Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit nach Projektende in Buchform vorgestellt werden.