Mit Paderborn hat diese Urkunde nun gar nichts zu tun, leider. Wann, wie und warum kam diese Urkunde aus Reichsitalien aber hierher? Beantworten lässt sich dies nicht zweifelsfrei. Es gibt jedoch eine Deutung – und im Unterschied zu Spekulationen über die Gründungsurkunde ist diese Erklärung aufgrund ihrer Plausibilität legitim. Authentisch ist die Urkunde auf jeden Fall. Und: Sie wurde nie vollzogen, im Namenskürzel Kaiser Ottos fehlt der entsprechende Vollzugsstrich. Daher gab es keinen Grund, sie im Bistum Marsi aufzubewahren. Zum Wegwerfen war die prächtige Kaiserurkunde natürlich viel zu wertvoll. Aber was damit anfangen? Die Urkunde könnte in den mittelalterlichen Schreibstuben als Vorlage für weitere wichtige Urkunden gedient und auf diese Weise den Weg von Mittelitalien ins Westfälische gefunden haben. Latein bleibt Latein, diesseits und jenseits der Alpen. Wann genau die Urkunde ins Erzbistumsarchiv gelangte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Sie war schon immer da.
Nicht die Nummer 1?
Die Urkunde lässt aber nicht nur einen Blick ins Mittelalter zu, sondern auch ins Archivwesen. Interessanterweise trägt die älteste Urkunde als Bestandsnummer nicht die 1, sondern 5. Die Erklärung dafür: In früheren Zeiten war es gemäß den Regeln der Archivkunde üblich, die Bestandsnummern chronologisch nach der Entstehungszeit der Urkunde zu vergeben. Kamen Schriftstücke aus historischen Zeiten neu ins Archiv, mussten folglich Zwischennummern mit Buchstaben eingezogen werden. Ein weiterer Nachteil dieser Nummernsystematik: Sie ließ Interpretationsspielräume zu. Das passierte, als Dompropst Johannes Linneborn im Jahr 1920 das „Inventar des Archivs des Bischöflichen Generalvikariates Paderborn“ erarbeitete. Linneborn stellte der Kaiserurkunde aus dem Jahr 964 vier barocke Urkundenabschriften für das Stift Neuenheerse voran, deren Originale etwas älter sind als unsere Nummer 5. Unter diesen ist auch die Abschrift der berühmten Papyrus-Urkunde von Papst Stephan aus dem Jahr 891 für das Stift Heerse, die heute im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, in Münster, verwahrt wird. Aber das ist eine andere Geschichte.
Zum Weiterstöbern finden Sie ein Digitalisat der Papyrusurkunde auf der Homepage des Landesarchivs NRW.