logocontainer-upper
Erzbistum Paderborn
logocontainer-lower
Die älteste Archivalie des Erzbistums Paderborn© Erzbistumsarchiv Paderborn; Foto: Ansgar Hoffmann, 2023

Vom Retter der Christenheit persönlich nicht vollzogen

Kaiser, Bischöfe und die Weltsprache Latein: Die älteste Urkunde im Bestand des Erzbistums Paderborn hat einiges zu erzählen

Den Auftakt der Reihe „Die Archivalie des Monats“ bildet die älteste Urkunde im Bestand des Erzbistumsarchivs. Was aber könnte Gegenstand dieser Urkunde sein? Machen wir ein Ratespiel daraus!

Einmal scharf nachgedacht. Die älteste Urkunde im Bestand könnte, sollte, müsste doch eigentlich … gemäß der Logik … ja, genau: Die älteste Archivalie müsste die Gründungsurkunde des Bistums Paderborn aus dem Jahr 799 sein! Unterzeichnet von Karl dem Großen und von Papst Leo III., die sich in eben diesem Jahr in Paderborn mit großem Gefolge zu einer synodalen Versammlung einfanden, um über die Errichtung des Bistums Paderborn und der weiteren Sachsenbistümer in Minden, Münster, Osnabrück, Verden und Bremen zu befinden.

Die Gründungsurkunde des Erzbistums Paderborn ist also ...

Aber nein. Die Gründungsurkunde des Bistums Paderborn ist verschollen, wenn es sie denn je gegeben hat. Die Zeit um das Jahr 800 ist noch recht schriftarm, womöglich wurde die Bistumsgründung gar nicht offiziell auf Pergament niedergelegt. Vielleicht hat es auch nicht die eine, große kaiserlich-päpstliche Gründungsurkunde gegeben, sondern dafür mehrere kleinere Schriftstücke, die später verloren gingen. Wobei alle Überlegungen, die in diese Richtung gehen, hochspekulativ sind. Und weil Spekulationen nicht ins akkurate Archivwesen passen, bleiben wir lieber bei den Fakten und lösen das Rätsel auf.

Die älteste Archivalie im Bestand des Erzbistums Paderborn trägt nicht das Namenszeichen Karls des Großen, sondern das eines anderen großen Königs und Kaisers, der etwa anderthalb Jahrhunderte nach dem Karolinger die Weltbühne betrat: Es handelt sich um Otto I., auch bekannt als Otto der Große. Und der Beiname trifft es: Dieser Otto aus dem sächsischen Geschlecht der Liudolfinger war ein wahrhaft großer Herrscher. Aufgrund seines Sieges in der Schlacht auf dem Lechfeld über die Ungarn im Jahr 955 rief ihn die Nachwelt gar zum Retter der Christenheit aus, er war die prägende Figur zu Beginn des Heiligen Römischen Reichs.

Irgendwo in Mittelitalien

Ausgestellt wurde das Pergament etwa ein Jahrzehnt nach der schicksalhaften Schlacht auf dem Lechfeld, genau am 19. Februar des Jahres 964 und damit vor 1060 Jahren in Paterno, also in Reichsitalien. Der Inhalt der Urkunde ist lapidar: Kaiser Otto I. überlässt dem Domstift S. Savina des in der Abruzzenregion Marsica gelegenen Bistums Marsi Besitz und bestätigt Immunität. Der Kaiser gewährt eigene Gerichtsbarkeit und überlässt die fiskalischen Einkünfte aus dem Kirchenbesitz Bischof Alberich für die Domkirche in Avezzano. Der Bischof erhält weiter das Engelskloster in Barrea und die Kirche des hl. Eutitius mit Zubehör.

Eine Schreibvorlage?

Mit Paderborn hat diese Urkunde nun gar nichts zu tun, leider. Wann, wie und warum kam diese Urkunde aus Reichsitalien aber hierher? Beantworten lässt sich dies nicht zweifelsfrei. Es gibt jedoch eine Deutung – und im Unterschied zu Spekulationen über die Gründungsurkunde ist diese Erklärung aufgrund ihrer Plausibilität legitim. Authentisch ist die Urkunde auf jeden Fall. Und: Sie wurde nie vollzogen, im Namenskürzel Kaiser Ottos fehlt der entsprechende Vollzugsstrich. Daher gab es keinen Grund, sie im Bistum Marsi aufzubewahren. Zum Wegwerfen war die prächtige Kaiserurkunde natürlich viel zu wertvoll. Aber was damit anfangen? Die Urkunde könnte in den mittelalterlichen Schreibstuben als Vorlage für weitere wichtige Urkunden gedient und auf diese Weise den Weg von Mittelitalien ins Westfälische gefunden haben. Latein bleibt Latein, diesseits und jenseits der Alpen. Wann genau die Urkunde ins Erzbistumsarchiv gelangte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Sie war schon immer da.

Nicht die Nummer 1?

Die Urkunde lässt aber nicht nur einen Blick ins Mittelalter zu, sondern auch ins Archivwesen. Interessanterweise trägt die älteste Urkunde als Bestandsnummer nicht die 1, sondern 5. Die Erklärung dafür: In früheren Zeiten war es gemäß den Regeln der Archivkunde üblich, die Bestandsnummern chronologisch nach der Entstehungszeit der Urkunde zu vergeben. Kamen Schriftstücke aus historischen Zeiten neu ins Archiv, mussten folglich Zwischennummern mit Buchstaben eingezogen werden. Ein weiterer Nachteil dieser Nummernsystematik: Sie ließ Interpretationsspielräume zu. Das passierte, als Dompropst Johannes Linneborn im Jahr 1920 das „Inventar des Archivs des Bischöflichen Generalvikariates Paderborn“ erarbeitete. Linneborn stellte der Kaiserurkunde aus dem Jahr 964 vier barocke Urkundenabschriften für das Stift Neuenheerse voran, deren Originale etwas älter sind als unsere Nummer 5. Unter diesen ist auch die Abschrift der berühmten Papyrus-Urkunde von Papst Stephan aus dem Jahr 891 für das Stift Heerse, die heute im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, in Münster, verwahrt wird. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zum Weiterstöbern finden Sie ein Digitalisat der Papyrusurkunde auf der Homepage des Landesarchivs NRW.

Foto Erzbistumsarchiv: Ansgar Hoffmann, 2023
Signatur EBAP, Generalvikariat, Urkunden, Nr. 5
Entstehungsdatum 19. Februar 964
Provenienz Erzbischöfliches Generalvikariat
Kulturhistorische Bedeutung Älteste Originalurkunde im Bestand des Erzbistumsarchiv, Urkunde ist unvollzogen
Literaturangaben Ein Jahrtausend in Urkunden – Eine Ausstellung des Bistumsarchivs, S. 3; Paderborn 1972
Linneborn, Johannes: Inventar des Archivs des Bischöflichen Generalvikariates zu Paderborn, S. 5; Münster 1920
Monumenta Germaniae Historica – Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, erster Band, S. 375-377; Hannover 1879-1884 (online verfügbar unter: http://www.mgh.de/dmgh/resolving/MGH_DD_Ko_I._/_DD_H_I._/_DD_O_I._S._375)

Die Archivalie des Monats

Das Erzbistumsarchiv ist das Gedächtnis unserer Erzdiözese. Es sichert und erschließt die schriftliche Überlieferung und macht Geschichte allgemein zugänglich. Und das sogar kostenlos. Selbst die wertvollsten Archivstücke können Sie sich werktäglich zu den Öffnungszeiten des Erzbistumsarchivs ansehen. Darunter sind selbstverständlich auch die Stücke, die wir Ihnen in unserer Reihe „Die Archivalie des Monats“ vorstellen.

 

Besuchendenadresse:

Erzbistumsarchiv Paderborn
Domplatz 15 (Konrad-Martin-Haus)
33098 Paderborn
Tel.: (0 52 51) 1 25-12 52
E-Mail: archiv@erzbistum-paderborn.de
Geöffnet Montag-Donnerstag, 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr

 

Ein Hinweis für alle genealogisch Interessierten: Die digitalisierten Kirchenbücher des Erzbistums Paderborn finden Sie auf

Matricula

Ein Beitrag von:
© Jürgen Hinterleithner
freier Autor

Hans Pöllmann

© Besim Mazhiqi / Erzbistum Paderborn
Archivar

Michael Streit

Weitere Einträge

© Moritz Kröner / Erzbistum Paderborn

Unser Glaube Kriegsgräber sollen als Mahnung erhalten bleiben

Kriegsgräber halten die Erinnerung an die Schrecken des Krieges wach. In Heggen kümmert sich eine Gruppe ehrenamtlich Engagierter um die Kriegsgräberstätte auf dem katholischen Friedhof. Im Mittelpunkt ihres Einsatzes stehen die Menschen.
© P Maxwell Photography / Shutterstock.com

Unser Glaube Was für ein König ist Christus?

Das Wort "König" ruft sofort zahlreiche Bilder hervor. Aber haben diese etwas mit Jesus zu tun? Gedanken zum Fest Christkönig
© Heiko Appelbaum

Unser Glaube Alarmstufe Rot?

Der Red Wednesday erinnert an verfolgte Christinnen und Christen auf der ganzen Welt – auch im Erzbistum Paderborn sind mehrere Kirchen in der Signalfarbe Rot illuminiert
Kontakt
| |
generalvikariat@erzbistum-paderborn.de
+49 (0)5251 125-0
Barrierefreiheit