Diese Einordnung hatte Birgitta Ringbeck bereits im November 2019 bei einer ICOMOS-Tagung in Paderborn und Corvey getroffen. Sie selbst war Ideengeberin dieses Symposions zum Einsatz neuer Technologien in der Vermittlung von Welterbe gewesen und verortete Corvey mit seinen innovativen didaktischen Konzepten vor den hochrangigen Teilnehmenden der Tagung in der Champions League der „Best practise“-Beispiele.
Damals noch in der Planungsphase, sind die Best-Practise-Angebote am Weserbogen inzwischen glanzvolle Realität: Die karolingische Ausgestaltung des Johanneschores erlebt seit 2023 bei Führungen mit Hilfe einer Mixed-Reality-App auf dem Bildschirm eines Tablets eine virtuelle Renaissance. Nach acht Jahren Vorbereitung ist jetzt auch die immersive Filmprojektion zur monastischen Geschichte der Weserabtei auf einer 40 Quadratmeter großen intelligenten Glaswand zwischen Westwerk und Abteikirche an den Start gegangen.
Die Gäste des Festakts zum Zehnjährigen erlebten auf Einladung des Ideengebers Professor Stiegemann eine fulminante Premiere dieser atemberaubenden Zeitreise: Dort, wo die Blicke sonst von der prachtvollen Barockausstattung der Kirche geradezu magisch angezogen werden, ist diese Sichtbeziehung plötzlich per Knopfdruck gekappt. Die Glaswand wird zu 95 Prozent blickdicht, und die Zuschauenden tauchen mit allen Sinnen ein in das große Jahrtausend der Mönche.
Substanz und Seele Corveys
Diese 1000 Jahre benediktinischen Lebens sind die „Substanz und Seele Corveys und der innere Zusammenhang aller seit der Welterbeanerkennung an den Start gebrachten Projekte der Kirchengemeinde“, betonte Kirchenvorstand Josef Kowalski auch unter Einbeziehung der neu konzipierten Dauerausstellung im Schloss (Kurator ist Professor Stiegemann) und der Arbeiten zur barrierefreien Erschließung des Johanneschores. Bei diesem bedeutenden Bauvorhaben führt die Kulturkreis Höxter-Corvey gGmbH Regie.
Josef Kowalski dankte in der Erfolgsbilanz seit 2014 auch im Namen des herzoglichen Hauses den Fördergebern – Bund und Land, dem Erzbistum Paderborn, der NRW-Stiftung, dem Förderverein „Karolingisches Westwerk“, dem Kreis Höxter und der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (GfW), der Stadt Höxter und auch den Spendern und Sponsoren. Ohne sie alle sei die Realisierung der innovativen neuen Angebote nicht möglich gewesen. Der Kirchenvorstand erinnerte auch an engagierte Persönlichkeiten, die zum Erfolg der Bewerbung beigetragen haben und jetzt beim Jahrestag nicht dabei sein konnten: den ehemaligen Landrat des Kreises Höxter, Hubertus Backhaus († 2012), und den Bau- und Finanzplaner des Erzbistums Paderborn, Franz-Josef Beine († 2021).
Für das Erzbistum gratulierte Justiziar Marcus Baumann-Gretza zum Zehnjährigen: „Seien Sie gewiss, dass wir uns der Bedeutung der kirchlichen Stätten Corveys für die gesamte Ortskirche von Paderborn sehr bewusst sind“, signalisierte er im Namen der Bistumsleitung. Ein solches „Erbe“ sei jedoch Ehre und Verpflichtung, Würde und Bürde gleichermaßen. Zehn Jahre nach Zuerkennung des Welterbestatus lasse sich konstatieren, dass nicht nur vieles in Bewegung geraten, sondern auch sehr viel erreicht worden sei, erklärt Baumann-Gretza und nennt dabei viele religionskulturelle Meilensteine.
Christliche Kirchen seien über den kulturellen Aspekt hinaus stets auch Orte des gelebten Glaubens und der Verkündigung, erklärt der Justiziar weiter. „Wir verehren als Christinnen und Christen keine ‚toten‘ Monumente. Denn – um ein Wort des Apostels Paulus zu bemühen – ‚als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende‘. Von daher verstehen wir unser kirchliches Engagement nicht zuletzt auch als Angebot und Beitrag zur Vermittlung von Werten und Perspektiven, für die das Westwerk seit mehr als 1200 Jahren sichtbar steht und Zeugnis gibt.“ Auch die dunklen Seiten kirchlichen Wirkens durch die Jahrhunderte seien uns allen – gerade in heutiger Zeit – sehr bewusst. „Dennoch bin ich überzeugt, dass gerade in einer Welt, in der Gegensätze und Interessen immer massiver aufeinandertreffen, in der Klima und Ton insgesamt rauer werden, in der Individualisierung und Vereinsamung zunehmen, ein sichtbares Zeugnis für Nächstenliebe – sprich: Mitmenschlichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft – notwendiger ist denn je“, mahnt Marcus Baumann-Gretza.