“Ich werde nur selten auf den Missbrauchsskandal angesprochen”
Johannes Brüseke arbeitet seit bald neun Jahren als Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe, einem kommunalen Krankenhaus mit Standorten in Detmold und Lemgo. Zu seinem Arbeitsalltag gehören Besuche bei Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen. „Die Menschen nehmen mich als kirchlichen Seelsorger wahr“, sagt er. „Ich vermute aber, dass die meisten nicht wissen, dass ich der katholischen Kirche angehöre. Diese Unterscheidung ist vielen inzwischen unbekannt oder einfach nicht wichtig.“
Bisher sei er nur selten auf den Missbrauchsskandal oder andere umstrittene Themen angesprochen worden, weder von Mitarbeitenden des Klinikums noch von Patientinnen und Patienten. „Ich nehme trotzdem wahr, wie sehr das große Engagement von so vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche an Glaubwürdigkeit verliert“, sagt er. „Dass der Missbrauchsskandal die Sicht auf die Kirche bestimmt und alles andere überstrahlt, erzeugt in mir ein tiefes Unbehagen.“ Eine möglichst schnelle und gründliche Aufarbeitung sei deshalb dringend nötig.
Er mache aus seinen Gefühlen keinen Hehl, wenn er doch einmal auf den Skandal angesprochen werde: „Da sind Abscheu, Traurigkeit und auch Scham für meine Kirche. Als Vater von drei Töchtern bin ich fassungslos und voller Ärger. Ich frage mich, wie Menschen, die behaupten, in der Nachfolge Jesu zu stehen, so handeln und ihre besondere Glaub- und Vertrauenswürdigkeit so missbrauchen konnten.“ Im Gespräch mit Menschen sei es wichtig, dies nicht zu übergehen. „Andere sind schuldig geworden und haben kriminelle Taten begangen. Als Mitarbeiter dieser Kirche trage ich insofern Mitverantwortung, dass ich das deutlich benenne und nicht kleinrede.“
Jeder Mensch ist Kind Gottes – eine vertrauensstiftende Botschaft
Die aktuelle Situation der Kirche erlebe er als bedrückend. „Einerseits finde ich in meiner Arbeit tiefen Sinn und ein tiefes Getragen-Werden im Glauben. Ich sehe auch welche Schätze wir als Kirche haben. Andererseits wird die Verbundenheit, die man als Mitarbeiter zur Kirche hat, in der Öffentlichkeit immer weniger verstanden.“ Das sei traurig, frustrierend und mache müde. In dieser Situation erlebe er es als befreiend, dass er im Krankenhaus von der Sorge um die Institution Kirche befreit sei und sich um das Wohl anderer kümmere.
Dass jeder Mensch von seinem ersten mit zu seinem letzten Atemzug Kind Gottes ist – diese Botschaft des Evangeliums trägt Johannes Brüseke bei jedem Patientenbesuch im Herzen. Sie ist seiner Überzeugung nach auch eine Möglichkeit für die Kirche, Vertrauen zurückzugewinnen. „Es gibt in diesem Zentrum des Glaubens keine Leistung, keine Reihenfolge, keine Hierarchie“, meint er. „Das kann man nur ernstnehmen, wenn man wertschätzend, geschwisterlich, hierarchiearm, weiblich und männlich zugleich Kirche ist.“
Im konsequenten Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung sieht Johannes Brüseke ebenfalls einen Weg für die Kirche zu mehr Vertrauen. „Es wird klarer und klarer, dass uns unsere Lebensweise immer tiefer in die Krise führt. Es ist dringend notwendig, nachhaltiger, konsumärmer und schöpfungsfreundlicher zu leben. Daran erinnert uns Papst Franziskus immer wieder. Es wäre so wichtig, dass wir als Kirche bereit sind, uns einzubringen – mit dem Hoffnungshorizont der Kraft Jesu! Es wäre so notwendig, dass wir uns nicht um uns, sondern um das Wohl anderer kümmern! Darin liegt Reich Gottes und eine neue Glaubwürdigkeit von Kirche.“