Tatsächlich besteht die große Gefahr, dass der Mensch, sollte er aufgrund der individuellen Selbstbestimmung für einen „menschenwürdigen“ Tod am Ende seines Lebens selbst verantwortlich sein, den eigenen Ängsten, der Versuchung zur Resignation und seinen depressiven Stimmungen schutzlos ausgeliefert ist. Kommen äußere Einflüsse und gesellschaftliche Ansprüche hinzu, muss das zwangsläufig zur Überforderung der einzelnen Person führen. „Du sollst nicht töten“ (Ex 20,13; Dtn 5,17), lautet dagegen das fünfte Gebot des biblischen Dekalogs. Es eröffnet einen Raum zum Schutz des menschlichen Lebens. Es ist kein unbarmherziges, abstraktes Prinzip, das einmal vorgegeben ist und dem der leidende Mensch in seiner Not zusätzlich ausgeliefert ist. Vielmehr wahrt dieses Tötungsverbot grundsätzlich die Freiheit der sterbenden Person und ihr Recht auf den eigenen, nicht fremdvorherbestimmten Tod.
Zentrale Bedeutung haben das christliche Bild vom Menschen und seine unantastbare Würde. Darin liegt der Wert allen menschlichen Lebens, ganz gleich in welcher Situation und Lage sich der Mensch befindet, völlig unabhängig von seiner Leistung, Funktion und seinem Nutzen. Das Leben eines jeden Menschen ist unverfügbar und kostbar. Das gilt unbedingt, weil Gott den Menschen als sein Abbild geschaffen hat. Er ist das Leben und das Leben ist Geschenk. Die Menschen verdanken Gott ihr Leben. Zu jeder einzelnen Person sagt Gott sein Ja. Darum will der Mensch von seinem Wesen her mit Recht auch sein Leben leben.
Abbild Gottes
Selbst das durch Krankheit, Behinderung oder Tod gezeichnete Leben hat als menschliches Leben eine unverlierbare Würde. Selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen des Lebensvollzugs, vollständige Hilflosigkeit und ein hoher Aufwand an Pflege und Betreuung können es unter keinen Umständen rechtfertigen, den betroffenen Menschen die Würde abzusprechen oder ihre Würde als eingeschränkt anzusehen.
Angewiesensein auf fremde Hilfe und körperliche Schwäche sind nicht menschenunwürdig, sondern eine Signatur des menschlichen Daseins, die im kranken Menschen besonders deutlich wird. Indem die moralischen Schranken akzeptiert werden, die durch das Tötungsverbot und das christliche Liebesgebot – „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mk 12,31) – im Blick auf das Lebensende des Menschen gesetzt sind, wird die Wahrheit unserer eigenen Endlichkeit anerkannt.
Jeder Mensch, wie immer er ist – gesund oder krank, mit hoher oder mit geringer Lebenserwartung, produktiv oder eine Belastung darstellend – ist und bleibt Abbild Gottes. Die Überzeugung, dass nicht eigene aktuelle Fähigkeiten, sondern Gottes Annahme und Berufung dem Menschen Gottebenbildlichkeit und damit seine Würde verleihen, hat sich gerade vor dem Hintergrund drohender Vereinsamung und sozialer Desintegration gegenüber dem kranken, behinderten und sterbenden Leben zu bewähren.