Markus Ende (45) ist ausgebildeter Gemeindereferent und war lange in der kirchlichen Gemeindearbeit tätig. Seit April 2020 arbeitet der offizielle Pilgerbegleiter als Seelsorger im Wallfahrtsteam Werl und betreut das Bistumsprojekt „Orte verbinden“. Seinen eigenen Weg zum Pilgern und wie er auf die Pilger-Angebote im Erzbistum Paderborn blickt, verrät er im Interview.
Pilgerbegleiter Markus Ende: „Pilgern heißt immer Begegnung“
Herr Ende, wieso liegt das Pilgern so im Trend?
Für eine Modeerscheinung hält es sich eigentlich schon zu lange. Aber ja: Pilgern ist in. Auf den großen Wegen wie dem ostwestfälischen Jakobsweg begegnet man immer jemandem. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft mit endlosen Wahlmöglichkeiten. Die zahlreichen Reize strengen die Menschen an, viele suchen nach Orientierung. Pilgern bietet uns da die Möglichkeit, den roten Faden in unserem Leben wieder aufzunehmen. Das wachsende Interesse an Regionalität, Heimatbezug und ein gesteigertes Naturbewusstsein spielen der Entwicklung in die Karten. Für die Kirche ist das eine große Chance, weil sie die Menschen über Pilgerangebote noch erreicht.
Was bewegt Pilgerinnen und Pilger heute dazu, aufzubrechen?
Pilgernde Menschen sind auf der Suche. Nach sich selbst, nach Spiritualität, nach Gott. Sie verbindet das Gefühl, in einem großen Gefüge zu stehen, in dem sie nicht alles beeinflussen können. Und die Sehnsucht nach mehr Klarheit im eigenen Leben. Und die erlangt man beim Laufen einfach besser, als wenn man zu Hause darüber nachdenkt, wo man in seiner Komfortzone bleiben kann. Wenn du unterwegs bist, passiert was mit dir, mit deinem Körper: Schmerzen, Durst, Kälte und Wärme – du lieferst dich aus. Und spürst: Die Begegnung mit der Schöpfung und deinen Mitmenschen ist hier intensiver. Pilgerinnen und Pilger sind anders – nicht immer einfach, aber auf positive Weise verrückt. Sie sind gelassener, aufgeschlossen und menschenfreundlich.
Und wie sind Sie zum Pilgern gekommen?
Das war ein längerer Weg: Am Anfang stand klassisch das Wandern mit meinen Eltern, das ich als Kind gar nicht mochte. Später ging’s zur Bundeswehr, auch da war ich viel draußen. Ich war aber immer auf der Suche nach mehr und habe mich schließlich für ein Studium der Religionspädagogik entschieden. Nebenbei habe ich mich in einer Fortbildung der Erlebnispädagogik zum Outdoortrainer ausbilden lassen. Am Schluss stand die Frage: Wie kann ich die körperliche Bewegung draußen mit Spiritualität und Glauben verknüpfen? So bin ich zum Pilgern gekommen und seit 2020 arbeite ich als Wallfahrtsseelsorger in Werl. Rückblickend passt alles wunderbar zusammen, aber während ich auf dem Weg war, mit seinen vielen Möglichkeiten, konnte ich das so noch nicht sehen.
Tagelang Pilgern zur Mutter Gottes
Die Wallfahrt in Werl ist eine der größten Marienwallfahrten in ganz Deutschland. Das große Highlight für die Wallfahrt in Werl ist das Patronatsfest Maria Heimsuchung, zu dem die Mucher Wallfahrt über 120 km nach Werl pilgert. Was die Wallfahrt in Werl so besonders macht, zeigt dieses Video.
Was fasziniert Sie am Pilgern?
Wenn ich morgens nach dem Frühstück in aller Früh aufbreche und die Sonne geht dann auf, macht sich so ein wohliges Gefühl in mir breit, ein Gefühl von Hoffnung und echter Freude. Ich erlebe die Schöpfung anders, wenn ich mittendrin stehe. Das sind starke Momente. Im Nachhinein zähle ich auch solche dazu, in denen ich an meine Grenzen gegangen bin. Wo Wasser fehlte, wo es heiß, kalt oder matschig war. Das sind Situationen, die in Erinnerung bleiben und in denen du dich aufs Wesentliche konzentrierst, weil du mit wenig klarkommen musst.
Heute begleiten Sie andere Menschen beim Pilgern. Worauf kommt es da an?
Wenn wir Menschen in der Werler Fußgängerzone oder in der Kirche als Pilgernde erkennen, dann gehen wir erst mal auf sie zu und laden sie auf ein Getränk ein, bieten ein Zimmer mit Dusche im Pilgerkloster an. Es geht immer um die Frage: Was kann ich dir gerade Gutes tun? Um Gastfreundschaft. Und viel geht es auch ums Zuhören: Erst hören wir Berichte von Wegerfahrungen und dann kommen oft die eigenen großen Themen: Suche, Neuorientierung, Krafttanken. Pilgern ist ja nicht nur eine sportliche Herausforderung, sondern es macht was mit deinem Kopf. Es berührt tief und gibt Raum, noch mal kritisch auf das eigene Leben zurückzublicken.
Es gibt Menschen, die waren noch nie unterwegs, spüren aber eine Sehnsucht in sich, aufzubrechen. Wie wird man eigentlich Pilger?
Pilgern kann im Grunde jeder. Vor allem braucht es den Mut, aufzubrechen. Denn wer pilgert, der verlässt das gewohnte Umfeld und das hat mit Unsicherheit zu tun. Wer sich entschieden hat, loszuziehen, dem geben wir gerne ein paar Fragen zur Vorbereitung mit auf den Weg: Wohin willst du gehen? Warum, und woher kommst du? Wie willst du gehen und mit wem? Und was ist dir wichtig, was brauchst du auf deinem Weg? Aber auch bei konkreten Themen wie Empfehlungen zur Ausrüstung oder zu Literatur kann man sich bei uns im Wallfahrtsteam Werl melden.
Pilgerwege im Erzbistum Paderborn: Orte verbinden
Pilgern erfreut sich großer Beliebtheit. Aber es muss nicht gleich der Jakobsweg sein. Auch vor der eigenen Haustür gibt es schöne Wege zu spirituellen Kraftorten. Finden kann man diese auf der Plattform Orte-verbinden.de.
Ortskundige Gläubige haben mittlerweile über 120 Wege erstellt und dort zusammengetragen. Es gibt Kurzstrecken und 46-Kilometer-Wanderungen. QR-Codes an Stationen auf dem Weg informieren über die Strecke oder geben spirituelle Impulse. Die Homepage ist auch mit dem Smartphone abrufbar.
Was macht einen guten Pilgerweg aus?
Für mich ist ein guter Pilgerweg ein Weg, auf dem ich Menschen begegne. Ein naturnaher Pfad, der vielleicht den Ansprüchen an einen Qualitätswanderweg entspricht, ist schön, aber nicht entscheidend. Es geht beim Pilgern immer um Begegnung und Vernetzung, um Interesse am Gegenüber. Das erlebe ich auch als Ansprechpartner der Pilgerplattform orte-verbinden.de, auf der Wegautoren die unterschiedlichsten Pilgerwege im Erzbistum zusammentragen – aus einem persönlichen Bezug zur Heimat oder einer eigenen spirituellen Idee heraus.
In den vergangenen Jahren sind viele neue Pilger-Angebote in der Region entstanden. Wie bewerten Sie die Infrastruktur für Pilgernde im Erzbistum?
Es sind gute Tendenzen sichtbar – es finden sich etwa immer mehr Pilgerstempel in Kirchen –, aber das kann noch mehr werden. Herbergen wie unser Pilgerkloster in Werl gibt es eher wenige, das Übernachten in Hotels und Gasthöfen am Wegrand kann in der Summe sehr kostspielig werden. Dabei wäre es eine große Chance für Kirchen und Pfarrhäuser, die zum Beispiel an den westfälischen Jakobswegen liegen, Menschen spirituell zu begleiten und dort abzuholen, wo sie sind: auf dem Weg.
Lieblingspilgergebet von Markus Ende
Du Gott des Aufbruchs, segne uns, wenn wir deinen Ruf hören, wenn deine Stimme uns zum Aufbruch und zum Neubeginn motiviert.
Du Gott des Aufbruchs, begleite und beschütze uns, wenn wir loslassen und Abschied nehmen, wenn wir dankbar zurückschauen, auf das, was hinter uns liegt.
Du Gott des Aufbruchs, lass uns deine Nähe spüren, wenn wir in Vertrauen und Zuversicht einen neuen Schritt wagen auf dem Weg unseres Glaubens.
Du Gott des Aufbruchs, zeige uns den Weg, wenn Ratlosigkeit uns lähmt, wenn Angst uns befällt, wenn wir Orientierung suchen in den Stürmen unserer Zeit.
Du Gott des Aufbruchs, segne uns. Sei du mit uns unterwegs, zu uns selbst, zu den Menschen, zu dir.
Amen