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Erzbistum Paderborn
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© Fotorina / Shutterstock.com

1,5 Grad Was ist das überhaupt?

Themenspecial „Es geht! Gerecht.“ Wenn es um Klima- und Umweltschutz geht, ist sie in aller Munde: die Zahl 1,5. Doch was steckt dahinter, wenn vom 1,5-Grad-Ziel die Rede ist? Michael Schurwanz erklärt, welche Folgen der globale Temperaturanstieg für die Menschen im Erzbistum Paderborn jetzt schon hat

Vor einer Woche formierten sich knapp 80 Menschen auf dem Paderborner Marktplatz zu einer großen 1,5. Das Erzbistum Paderborn hatte zu dieser Aktion aufgerufen, die im Rahmen der Misereor-Fastenaktion „Es geht! Gerecht!“ ein sichtbares Zeichen für den Klimaschutz setzen sollte. 1,5 – diese Zahl ist derzeit in aller Munde, wenn es um Klima- und Umweltschutz geht. Was genau es damit auf sich hat, kann Michael Schurwanz erklären. Er ist Diplomphysiker mit dem Schwerpunkt Umwelt- und Atmosphärenphysik und berät die Paderborner Ortsgruppe der Initiative „Parents for Future“.

Was muss man also wissen, um das 1,5-Grad-Ziel zu verstehen? Zwei Dinge, antwortet Michael Schurwanz. Man braucht Kenntnisse über die globale Durchschnittstemperatur und das Konzept der Kipppunkte.

Fangen wir mit der globalen Durchschnittstemperatur an. Heute messen Satelliten die Temperatur für jeden Punkt der Erde – egal ob Antarktis, Regenwald oder Paderborn. Aus all diesen Werten wird ein Mittelwert gebildet. Dieser Wert, die globale Durchschnittstemperatur, liegt normalerweise bei 15 Grad. Aktuell liegen wir darüber, ungefähr 1,3 Grad.

Das hört sich nach wenig an, ist es aber nicht. Das verdeutlicht ein Beispiel: Während der letzten Eiszeit, die vor ungefähr 10.000 Jahren zu Ende ging, war Europa bis zu den Alpen vergletschert. Die globale Durchschnittstemperatur lag aber nur drei Grad unter der heutigen. „Dieser kleine Temperaturunterschied hat dafür gesorgt, dass große Teile Europas von kilometerdicken Eispanzern bedeckt waren“, sagt Schurwanz.

Kleiner Unterschied, große Wirkung

Mit der Erkenntnis, dass ein kleiner Unterschied große Wirkung haben kann, ist die Wissenschaft darangegangen, Temperaturmodelle für die Zukunft aufzustellen. Weil seit Beginn der Industriellen Revolution die globale Durchschnittstemperatur stetig ansteigt, geht es bei den Modellen nicht um eine neue Kalt-, sondern um eine Warmzeit.

Und hier kommt der Kipppunkt ins Spiel: Michael Schurwanz nimmt ein leeres Wasserglas und stellt es an den Rand der Tischplatte. Mit dem Finger schiebt er es immer wieder ein kleines Stückchen vorwärts, auf die Kante zu. Erst ragt ein kleiner Teil des Glasbodens darüber, dann etwas mehr. Und plötzlich kippt das Glas und fällt – Schurwanz fängt es auf, bevor es auf dem Boden zerbricht. Wie das Glas hat auch das Klima einen Kipppunkt. Lange Zeit geschieht nichts, obwohl das Klima schon gefährlich weit über die metaphorische Tischplatte hinausragt. Erst wenn der Kipppunkt erreicht ist, verändert sich das Klima. Dann aber dramatisch. Und im Gegensatz zum Glas gibt es hier niemanden, der es auffängt und wieder auf den Tisch zurückstellt. „Der Kipppunkt löst eine irreversible Veränderung aus. Wir können sie nicht wieder rückgängig machen.“

Wo liegt der Kipppunkt?

Es muss also darum gehen, zu verhindern, dass es zum Kipppunkt kommt. Das bedeutet, dass die Menschheit versuchen muss, einen weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu verhindern. Doch das ist schwierig zu vermitteln, wenn man im luftleeren Raum argumentiert. Wo stehen wir denn jetzt? Wie viel Spielraum bleibt uns noch? „Die Forschenden legen sich nicht gerne fest. In dieser Sache haben sie sich aber darauf geeinigt, dass es wahrscheinlich ist, dass die Erde einen Temperaturanstieg bis 2 Grad auffangen könnte.“ Aber warum hört man dann so viel von den 1,5 Grad?

„Weil keine Wissenschaftlerin und kein Wissenschaftler der Welt sagen kann, wann genau das Klima irreversibel kippt“, sagt Schurwanz. Es sei wahrscheinlich, dass es 2 Grad sind. Der Kipppunkt könnte aber ebenso gut erst bei 2,1 Grad kippen oder bei 1,6 Grad. „Wer will schon mit dem Feuer spielen?“ Weil niemand genau weiß, ob 2 Grad wirklich die Obergrenze sind, arbeitet man lieber mit 1,5 Grad. Also mit Sicherheitspuffer. „Aber es bleibt ein Risikospiel“, sagt Schurwanz. Denn der Kipppunkt könnte auch schon bei 1,1 Grad liegen. Dann hätten wir ihn heute wohl bereits überschritten und das Abschmelzen der grönländischen Gletscher wäre unaufhaltbar.

Alles hat mit allem zu tun

Gletscher auf Grönland. Das klingt weit weg – hat über Umwege aber dramatische Auswirkungen für die Menschen im Erzbistum Paderborn. Stichwort: Jetstream. Das ist ein Band aus sehr starken Winden, das sich in zehn Kilometern Höhe um den Planeten zieht. Angetrieben wird es durch die Temperaturunterschiede zwischen den warmen Regionen am Äquator und den kalten Polargebieten. Der Jetstream treibt die Hoch- und Tiefdruckgebiete an, die für unser Wetter verantwortlich sind.

Die Arktis ist in den letzten Jahren deutlich wärmer geworden. Dadurch ist der Temperaturunterschied nicht mehr so groß. Was das für Auswirkungen auf den Jetstream hat, kann man sich anhand eines Rinnsals Wasser vorstellen: Fließt das schnell, ist sein Verlauf relativ gerade. Bewegt sich das Wasser jedoch mit geringerer Geschwindigkeit, beginnt es zu mäandern. Das heißt, es bildet große Schleifen. Beim Jetstream führt das zu folgendem Problem: „Weil er nicht mehr stark genug ist, werden Hoch- und Tiefdruckgebiete nicht mehr so schnell weitergeschoben. In den großen Schleifen, die das mäandernde Windband bildet, bleiben sie sogar hängen und beginnen sich zu drehen“, sagt Schurwanz. Dadurch wüchsen sie teilweise auf einen Durchmesser von eintausend Kilometern an.

Die Folgen des Klimawandels Spürbar im Erzbistum Paderborn

Letztes Jahr im Sommer steckte ein Tiefdruckgebiet in so einer Schleife des Jetstreams fest. Wie ein Schaufelrad sog es Wassermassen vom Mittelmeer an, transportierte sie über die Alpen und ließ sie im Norden wieder ab. Die Folge der starken Regenfälle: Eine Flutkatastrophe die in Deutschland 184 Menschen das Leben kostete und unzählige andere ihrer Existenz beraubte.

Das andere Extrem beschäftigte die Menschen in Ostwestfalen in den Sommern davor. Noch vor fünf Jahren sei er in der Egge gewandert, erzählt Michael Schurwanz. „Das waren dichte, dunkle Wälder. Mystisch und nebelverhangen.“ Schaue man heute in die Egge, sei kaum noch etwas davon da. „Der ganze Nadelwald ist weg. Eine Katastrophe.“ Wer nach dem Verantwortlichen für diese Zerstörung fragt, dem wird ein kleiner, schwarz-brauner Käfer gezeigt, der Borkenkäfer.

„Aber der Borkenkäfer ist nicht schuld“, sagt Schurwanz mit Nachdruck. Er sei zwar hinterher die Ursache, die den Baum töte. Aber der Grund dafür, dass sich der Borkenkäfer so massiv vermehren kann, liegt darin, dass die Bäume kein Harz mehr bilden können. „Normalerweise harzen die Bäume die Käfer nämlich ein, um sich vor ihnen zu schützen.“ Für Harz brauchen Bäume aber eines: Wasser. Und daran mangelte es in den letzten Sommern. Mehrere Jahre hintereinander hingen Hochdruckgebiete in einer Jetstream-Kurve über der Region fest und brachten Hitze und Trockenheit.

Einfach neue Bäume pflanzen geht nicht

Die Folgen der Flutkatastrophe werden die Menschen auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen. Der zerstörte Wald sogar noch länger. Denn einfach neue Bäume pflanzen geht nicht. „Das Mikroklima des Waldes ist komplett zerstört“, sagt Michael Schurwanz. Das müsse neu generiert werden. Und selbst wenn man statt auf Nadelhölzer ab jetzt auf Misch- oder Laubwald setze, müsse auch der in Hitzesommern bewässert werden. Außerdem wachsen Laubbäume langsamer als Nadelbäume. Bis sie den Baum ernten und verkaufen können, hätten Forstwirte also auf längere Zeit Kosten zu bewältigen, ohne dabei Einnahmen zu haben. „Da sieht man, wie komplex das Thema ist“, sagt Schurwanz. Weil in Grönland die Gletscher tauen, geht hier der Wald kaputt und es ist kein Geld da, um wieder aufzuforsten.

„Wir werden es nicht mehr erleben, dass auf der Egge wieder Wald steht“, sagt Schurwanz und hält inne. Er frage sich von Zeit zu Zeit, ob es gut sei, diese Dinge so zu kommunizieren, sagt er. Das, wovon er heute erzähle, habe er schon in den 1990er Jahren im Physikstudium gelernt. Auch die 1,5 Grad als Obergrenze waren damals schon im Gespräch. Es wurde bloß vonseiten der Politik und der Wirtschaft über 20 Jahre lang nichts getan. „Heute ist die Lage sehr kritisch.“ Gibt es da noch Hoffnung?

Hoffnungsschimmer

Es gebe, so sagt er, zwei große Hebel, mit denen der aktuelle Trend in Richtung Kipppunkt gestoppt werden könne: Das Einsparen von Energie und der Ausbau von erneuerbaren Energien. Das Erzbistum Paderborn versucht, die Verwaltung und die Kirchengemeinden vor Ort mit einem Klimaschutzkonzept nachhaltig aufzustellen. Doch zurück zur 1,5-Grad-Menschenkette auf dem Marktplatz. Auch wenn sich nur knapp 80 Menschen daran beteiligten, schaffte es die Nachricht dennoch in die lokalen Medien.

Und darin sieht Michael Schurwanz die größte Aufgabe der Kirche: der Bewahrung der Schöpfung Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dazu müsse Kirche auf die Menschen zugehen und mit ihnen über den Klimaschutz ins Gespräch kommen. Ihre Rolle als Seelsorgerin wahrnehmen und auf die Fragen und Zukunftsängste der Menschen reagieren. Niemals sei er Gott näher gekommen, als in der Physik, sagt Schurwanz. „Wenn man das Gesamtkunstwerk sieht, dann kann man kaum anders als glauben.“ Und die Schöpfung, dieses Gesamtkunstwerk, bewahren wollen.

Drei Fragen an Michael Schurwanz

Ist das 1,5-Grad-Ziel überhaupt zu halten?

2010 waren wir ungefähr bei 1 Grad Erwärmung, 2020 sind wir schon bei 1,3 Grad angekommen. Das heißt, 2030 werden wir die 1,5-Grad-Marke überschritten haben. Weil wir nichts ändern. Nehmen wir den Verkehrssektor: Alles, was da durch technischen Fortschritt an Energieverbrauch eingespart werden konnte, wird durch Fahrzeuggröße und Menge zunichtegemacht.

Hat die Zielmarke noch einen Sinn?

Ja, denn noch liegen wir darunter. Wir würden es mit den heutigen technischen Mitteln schaffen, darunter zu bleiben. Wir müssen nur jetzt damit anfangen, CO2 abzubauen. Und an das 1,5-Grad-Ziel sind viele andere Teilziele geknüpft. Wenn wir beispielsweise ein 1,6-Grad-Ziel definieren, dann müssten wir alles andere aufdröseln und neu bewerten. Und irgendwann müssen wir ja auch mal anfangen, statt Obergrenzen nur noch höher zu setzen.

Welche Form von erneuerbaren Energien eignet sich besonders für das Paderborner Land?

Die Umgebung Paderborns mit dem Eggegebirge ist prädestiniert für Windenergie. Der Wind vom Atlantik trifft hier zum ersten Mal auf ein Gebirge. Und wenn ich etwas enger mache, aber die gleiche Menge Material hindurchtransportieren will – dann nimmt die Beschleunigung zu. Dank dieses Turboeffekts ist die Egge die drittstärkste Windregion Deutschlands. Wir können hier mit einfachen Mitteln Energie gewinnen. Und meiner Meinung nach müssen wir es auch.

Ein Beitrag von:
Redakteur

Cornelius Stiegemann

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