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Hohenlimburg Hochwasser 2021© DPSG Hohenlimburg / Tanja Muennich

Als das Wasser kam

Alexander Kleinkorres, Mitarbeiter der Hochwasserhilfe der Caritas Hagen, berichtet, wie die Menschen in Hagen noch immer für Hilfen kämpfen

Bei der großen Flut im Juli 2021 denken die allermeisten Menschen zuerst an das Ahrtal, dann vielleicht noch an die Erft. Fernsehbilder sind wirksam. Dass die Flut am 14. und 15. Juli 2021 auch durch die Großstadt Hagen stürzte, ist jenseits der Stadtgrenzen fast in Vergessenheit geraten. Noch weniger ist bekannt, dass fast anderthalb Jahre nach der Flutkatastrophe in Hagen immer noch Menschen auf Unterstützung angewiesen sind und vergebens darauf warten, dass Versicherungsleistungen und staatliche Hilfsgelder ausbezahlt werden.

Der Caritasverband Hagen ist von den ersten Stunden an in der Hochwasserhilfe engagiert. Mit Alexander Kleinkorres hat die Caritas einen engagierten Mitarbeiter, der sich um die Belange der Flutgeschädigten kümmert. Für diesen Beitrag gibt er Einblick in seine Arbeit. Subjektiv, persönlich und unverstellt.

Der Tag, an dem die Flut kam

Am 14. Juli 2021 macht Alexander Kleinkorres früher Schluss. Nach seinem Studium der Sozialen Arbeit hat er eine Anstellung bei der Caritas in Hagen gefunden. Der Job macht ihm Spaß. Auf dem Nachhauseweg durch die Stadt sieht er, wie Straßenzüge unter Wasser stehen. Ihm gelingt es noch, sich durchzumanövrieren. Er beobachtet Menschen, die Kellerfenster und Türen mit improvisierten Sperren verrammeln, hört das Martinshorn. Die Volme, ein sonst an vielen Stellen knietiefes Flüsschen, ist angeschwollen und über die Ufer getreten. Kleine Bäche haben sich in reißende Gewässer verwandelt. Kleinkorres schafft es gerade noch heraus aus der Stadt und nach Hause. Während der Fahrt wird ihm zunehmend deutlich, dass das kein normales Hochwasser ist. Die Martinshörner werden in Hagen noch die ganze Nacht heulen, die Rettungskräfte am Limit arbeiten. Die Stadtregierung reagiert schnell: Noch in der Nacht setzt sich ein Krisenstab zusammen. Als es am nächsten Tag hell wird und sich das Wasser langsam zurückzieht, lässt sich das Ausmaß der Schäden nur erahnen. Klar ist: Es ist eine Katastrophe.

Der Tag danach

Am nächsten Tag muss sich Alexander Kleinkorres auf dem Weg zur Arbeit durch eine andere Stadt schlagen. Straßen sind unpassierbar, Wege weggerissen, alles ist voller Schlamm. Überall zeigt sich ein Bild der Zerstörung. Im Büro angekommen, stehen dort schon die Kolleginnen und Kollegen zusammen, tauschen Erlebnisse aus und diskutieren.

Caritas heißt nichts anderes als: Not erkennen und handeln. Es muss geholfen werden. Aber wie? Wo anfangen? Mit einer Bestandsaufnahme: Welche unserer Einrichtungen sind direkt betroffen? Wer ist im Tagesgeschäft so stark eingebunden, dass er dort weitermachen muss? Wer kann zusätzliche Ressourcen in die Hochwasserhilfe stecken? Wer kann von seinen normalen Aufgaben ganz entbunden werden und sich ausschließlich um die von der Flut betroffenen Menschen kümmern? Wer koordiniert das Ganze? Die Caritas ist es gewohnt, Menschen zu helfen. Aber die Flut stellt auch die Hilfsorganisation vor Herausforderungen.

Caritas heißt nichts anderes als: Not erkennen und handeln.

© privat
© privat

Soforthilfe läuft an

In all dem Chaos der Zerstörung regt sich in Hagen etwas enorm Gutes. Hilfsbereitschaft. Vieles organisiert sich in den ersten Tagen von selbst. Menschen, durch deren Wohnungen ein Fluss ging und die alles verloren haben, kommen bei Nachbarn unter, auf einmal teilt man sich Kühlschrank, Bad und Klo. Menschen fangen an, den Schlamm aus ihrer Wohnung zu schaufeln. Auf einmal kommen da zwei oder drei Leute an und packen mit an. Helfende aus der Umgebung kommen in die Stadt, Freiwillige aus anderen Bundesländern rücken an, die einen mit einer Schippe in der Hand, andere mit schwerem Gerät.

Während die einen Schlamm schippen und aufgequollenes Mobiliar auf die Straße stellen, sorgen die anderen für Essen, Trinken, Kleidung. Aus dem Nichts taucht ein zu einer mobilen Küche umgebauter Lkw auf, vollbeladen mit Pommes, Grillfleisch, Bockwürsten. Freiwillig Helfende bekochen freiwillig Helfende. Die Zivilgesellschaft funktioniert. Doch allein könnte sie die Aufgabe nie stemmen. Zum Glück sind die Behörden auf Zack. Die Bundeswehr eilt der Stadt zu Hilfe. Auch die Wohlfahrtsverbände mobilisieren alle Kräfte.

Aus dem Nichts taucht ein zu einer mobilen Küche umgebauter Lkw auf, vollbeladen mit Pommes, Grillfleisch und Bockwürsten.

Jetzt, da die Menschen ihre kaputten Möbel und den verdreckten Hausrat auf die Straße stellen, wird das Ausmaß der Schäden erst richtig deutlich. Die Wohlfahrtsverbände bekommen mit der psychosozialen Betreuung der verunsicherten Menschen eine zusätzliche Aufgabe. Das Hochwasser hat das Stadtbild verändert. Und immer deutlicher wird: Der Aufbau wird mühselig, langwierig und teuer.

Koordiniertes Vorgehen bei der Caritas

In den ersten Tagen ist an ein koordiniertes Vorgehen nicht zu denken. Aber bald wird deutlich, dass die Hilfe Strukturen braucht. Die Caritas beschließt, ein Team für die Fluthilfe einzusetzen. Alexander Kleinkorres ist von Anfang an dabei. Er sieht die Größe der Aufgabe, aber auch die Möglichkeit, sich an einer Schlüsselstelle für seine Mitmenschen einsetzen zu können. Dass die Caritas eine Anlaufstelle für Flutopfer geschaffen hat, muss nicht lange über die Medien vermittelt werden. Die Caritas ist in Hagen gut vernetzt, viele Menschen wenden sich bei sozialen Problemen an die Caritas. Schon nach kurzer Zeit steht bei Alexander Kleinkorres das Telefon nicht mehr still. Er muss Termine vergeben.

Die Aufgaben wandeln sich

Im Lauf der Zeit verändern sich die Hilfsersuchen und damit die Aufgaben von Alexander Kleinkorres. In der Phase direkt nach der Flut geht es um elementare Dinge: etwas zu essen, etwas zu trinken, etwas Sauberes anzuziehen, ein Dach überm Kopf, Hilfe beim Aus- und Aufräumen. In der Phase danach suchen die Menschen nach Unterstützung bei der Wiederbeschaffung von Hausrat, Dokumenten, Mobiliar. Zunehmend wird der Ruf nach finanzieller Unterstützung laut. Die Caritas hilft und verteilt Spendengelder, die aus aller Welt eingehen, an Bedürftige.

Zunehmend besteht die Arbeit von Alexander Kleinkorres aus Verwaltungsarbeit. Das Land NRW hat im Herbst 2021 die gesetzlichen Grundlagen für finanzielle Hochwasserhilfen geschaffen. Das Land übernimmt 80 Prozent der Kosten des Wiederaufbaus, sofern die Versicherungen nicht bezahlen. Das Antragsverfahren allerdings ist ein Fall für sich. Das Formular überfordert selbst Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Viele Menschen mit Migrationshintergrund oder Ältere kapitulieren vor der Förderbürokratie und wenden sich hilfesuchend an die Wohlfahrtsverbände. Andere Betroffene sehen sich außerstande, die 20 Prozent an Eigenleistung zu erbringen. Manche drohen in die Schuldenfalle zu geraten.

Viele Menschen mit Migrationshintergrund oder Ältere kapitulieren vor der Förderbürokratie und wenden sich hilfesuchend an die Wohlfahrtsverbände.

Auf den veränderten Beratungsbedarf reagieren die Stadt Hagen und die großen Wohlfahrtsverbände Caritas, AWO, Diakonie und Deutsches Rotes Kreuz im Herbst 2021 mit der Gründung eines zentralen Hochwasserhilfe-Büros.

Dicke Bretter bohren

Mit der Zeit verändern sich nicht nur die Aufgaben von Alexander Kleinkorres. Nun dauert es auch viel länger, bis sich ein Erfolg einstellt. Die kleineren Schadenfälle waren anfangs meist rasch erledigt. Den Schaden, der aus einem vollgelaufenen Keller resultierte, regulierten die Versicherungen in der Regel unbürokratisch. Was bleibt, sind die Großschäden, bei denen sich die Versicherungen umständlich zeigen und versuchen, sich mit immer neuen Einwänden aus der Sache herauszuwinden. Alexander Kleinkorres erzählt von einem Fall, bei dem ein Handwerker bis heute sein eigenes Haus nicht sanieren darf, weil die Rechtslage ungeklärt ist.

Und es gibt Härtefälle, zum Beispiel den einer mehrfach behinderten Frau, deren behindertengerecht ausgebaute Erdgeschosswohnung komplett überflutet wurde. Das Wasser riss dabei das bewegliche Inventar mit sich und ließ die Festeinbauten unbrauchbar zurück. Weil der Rechtsstreit nicht beigelegt ist, gibt es noch keine Hilfen. Die Frau lebt heute wieder bei ihren Eltern in der Etage darüber.

In seiner Tätigkeit musste Alexander Kleinkorres eine ernüchternde Erfahrung machen: Unter den Langzeitfolgen der Überschwemmung leiden besonders oft Menschen, die schon vor der Flut am Rand der Gesellschaft standen. Die Schäden in Hagen waren gewaltig. Doch dass Alexander Kleinkorres fast anderthalb Jahre nach der Flut immer noch mit der Hochwasserhilfe befasst ist, hätte er sich anfangs nicht träumen lassen. Dennoch kann er seiner Arbeit viele positive Seiten abgewinnen. Mitunter kommen selbst langwierige Verhandlungen zu einem Abschluss. Wichtig ist für ihn auch ein neues Feld der Hochwasserhilfe, nämlich Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche in Form von Projektarbeit.

In flutgeschädigten Familien ist das Stresslevel hoch.

© Marc Bruxelle / Shutterstock.com
© Marc Bruxelle / Shutterstock.com

In flutgeschädigten Familien ist das Stresslevel hoch. Es ist daher mehr als notwendig, dass die Kinder rauskommen, etwas unternehmen, ihre Sorgen wenigstens für Tage oder Wochen vergessen können. Wie bei der Soforthilfe direkt nach der Katastrophe kann Alexander Kleinkorres bei der Jugendarbeit wieder auf breite Unterstützung der Zivilgesellschaft zählen. Vereine, Verbände, Initiativen lassen sich nicht zweimal bitten und stellen den betroffenen Kindern und Jugendlichen spezielle Angebote zur Verfügung.

Und jetzt?

Wie lange Alexander Kleinkorres noch in der Hochwasserhilfe arbeiten wird? So lange es notwendig ist, meint er.

1000 gute Gründe

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Für unseren Glauben, unsere Kirche und für unser Engagement sprechen 1000 gute Gründe. Und noch viele mehr. Es ist Zeit, von ihnen zu erzählen! Ohne etwas zu verschweigen oder schön zu reden. Sondern, indem wir auch das Gute wieder zur Sprache bringen und sichtbar machen, wie lebenswert und vielfältig unser katholisches Glaubensleben ist. In einer einladenden, konstruktiven Haltung möchten wir mit Menschen ins Gespräch kommen.

Wir möchten hören, was Sie im Leben und Glauben trägt – egal, ob Sie in der Kirche arbeiten, ob Sie engagiert sind oder ob Sie einfach neugierig auf unsere Themen und Angebote sind. Alle sind herzlich eingeladen, bei der Initiative „1000 gute Gründe“ mitzumachen. Denn je mehr wir sind, desto stärker ist unsere Stimme. Und umso stärker wird unsere Initiative, die in den kommenden Jahren und Monaten immer weiter wachsen wird.

Ein Beitrag von:
© Jürgen Hinterleithner
freier Autor

Hans Pöllmann

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