Die Architektur sowie die eindrucksvollen Wandmalereien und Stuckfiguren spielen dabei eine zentrale Rolle „Um diese Visualisierung des historischen Zustandes des einstiges Klostergebäudes möglich zu machen, waren viele Teilschritte nötig“, berichtet Annika Pröbe von der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Expertenteam des Fraunhofer-Instituts. In einer echten „Puzzlearbeit“ mit unzähligen hochauflösenden Scanverfahren entstand in den vergangenen drei Jahren eine App, die den historischen Johannischor virtuell wiederauferstehen lässt und direkt vor Ort erfahrbar macht. Und wer nun an den multimedialen Führungen teilnimmt, erhält spannende und bewegende Einblicke in eine große Vergangenheit.
Intensives Farbspiel
Mit Hilfe der verwendeten Tablets lässt sich im Johannischor genau jene Perspektive und Ausschmückung sichtbar machen, die bei Gästeführungen bisher nur beschrieben werden konnte. „Das ist eine didaktische Erschließung mit besonderem Aha-Effekt“, freut sich Annika Pröbe über die Resonanz im sogenannten Probelauf. Denn wer mit dem Tablet über die Wände der heute so schlicht wirkenden Emporenkirche fährt, ist erstaunt über die ungewöhnliche Farbigkeit in der Rekonstruktion.
Ein wahres Feuerwerk von Grün, Rot, Blau, Orange oder Gelb erwartet die Corvey-Gäste. Kein Wunder, denn Corveys Erbauer orientierten sich im 9. Jahrhundert bewusst an antiken Vorbildern – denn die Statuen, Tempel und Triumphbögen der Griechen und Römer, die dem heutigen Betrachter so marmorweiß begegnen, waren ursprünglich intensiv farbig gefasst und mit aufwendiger Ornamentik verziert.
Odysseus-Szene lässt sich nachzeichnen
Und so leben nun auch im Westwerk die einstigen sechs lebensgroßen Stuckfiguren als 3D-Nachbildungen – auf der Grundlage von Skizzen der Wissenschaftler – virtuell und äußerst farbenprächtig auf. Farbreste an den Original-Fragmenten ließen die passenden Rückschlüsse zu. Beeindruckend erscheinen daneben die ornamentreichen Arkadenbögen mit ihren wunderschön ausgearbeiteten Ranken. Spannend ist ebenfalls, dass Besucherinnen und Besucher direkt vor der berühmten Odysseus-Szene unter der Westempore die fragile Malerei auf dem Bildschirm „nachzeichnen“ können und genaue Informationen über die mythologische Darstellung erhalten. Dieser „Kampf des Odysseus gegen das Meeresungeheuer Skylla“ spiegelt beispielhaft die Antikenrezeption der Karolinger wider.