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Erzbistum Paderborn
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„Bleiben sie beieinander!“

Josef Lüttig blickt auf 14 Jahre an der Spitze des Diözesan-Caritasverbandes zurück

Kirche und Caritas gehören untrennbar zusammen. Was wäre das eine ohne das andere? Spätestens mit Blick auf die drei kirchlichen Grundvollzüge wird klar: Verkündigung, Gottesdienst und Dienst am Menschen sind nicht voneinander zu trennen, will die Kirche ihren Auftrag erfüllen und ihrem Anspruch gerecht werden. Und trotzdem geraten Kirche und Caritas ab und an in Spannung zueinander. Das weiß auch Josef Lüttig aus jahrelanger Erfahrung an der Spitze des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn. Mit viel Herz und Engagement hat er den Laden 14 Jahre zusammengehalten und empfiehlt, das auch weiterhin zu tun. Zum 1. Februar 2023 geht Josef Lüttig in den Ruhestand.

Herr Lüttig, was wird in Zukunft gefragter sein: Kirche oder Caritas?

Josef Lüttig

Beides wird in Zukunft gefragt sein, die Kirche als verfasste Kirche und die Caritas. Beide sind letztlich eins und gehören zusammen. Sie treten miteinander, nicht gegeneinander an. Kirche braucht die Caritas. Und Caritas ist ohne Kirche nicht Caritas.

Dennoch ist dieses Miteinander von einem spannungsgeladenen Verhältnis geprägt.

Josef Lüttig

Ich will es weniger theologisch als betriebswirtschaftlich ausdrücken: Sowohl die verfasste Kirche als auch die Caritas im Sinne des Caritasverbandes stehen heute jeweils in ihrem gesellschaftlichen Feld im Wettbewerb; die Caritas schon länger, spätestens seit Mitte der 90er Jahre. Wir sind Wettbewerb gewohnt. Die verfasste Kirche wird sich dem Wettbewerb vielleicht noch eindeutiger stellen müssen.

Was meinen Sie damit?

Josef Lüttig

Auch in Zukunft werden Menschen Bedarf an Religion haben, vor allen Dingen in bedeutsamen Phasen des Lebens. Doch Kirche hat heute und in Zukunft deutlich mehr Mitbewerber, es gibt deutlich mehr Anbieter auf dem religiösen Markt als früher. Den Wettbewerb besteht man durch das Produkt und durch Kundengewinnung, Kundenbindung und Kundenzufriedenheit. Die Caritas zum Beispiel arbeitet in einem stärker gesetzlich geregelten Bereich, muss hohe Qualität zu einem oft vorgegebenen Preis erbringen. Das gelingt dann durch das Netzwerk vieler wirklich motivierter, qualifizierter und engagierter Menschen. Das Produkt bei Caritas und genauso bei Kirche halte ich – auf je eigene Weise und verbunden miteinander – für ausgesprochen gut. Allerdings muss auch alles unterbleiben, was der eigenen Marke, dem eigenen Image schadet. Hier hat gerade die verfasste Kirche große Fehler gemacht.

Wenn Sie auf die Gesellschaft schauen: Was benötigt sie für das Zusammenleben?

Josef Lüttig

Unsere Gesellschaft braucht Zusammenhalt und gleichzeitig Vielfalt. Sie braucht Chancengerechtigkeit und Solidarität, Frieden und eine gemeinsame Werteorientierung. Sie braucht Integration und Offenheit. Die demokratische Verfassung ist das Fundament dafür. Das Evangelium ist ein Orientierungsrahmen, der immer wieder Impulse gibt, die zusätzlich die Menschenwürde sowie gutes und richtiges Handeln begründen. Darum wird unsere Gesellschaft auch in Zukunft das Evangelium benötigen. Wir dürfen den Menschen Jesus Christus und seine Botschaft nicht vorenthalten.

Was können Kirche und Caritas dafür tun?

Josef Lüttig

Gemeinsam können Kirche und Caritas viel dafür tun. Im Zentrum steht die Würde des Menschen, nicht nur die eines jeden einzelnen Menschen, sondern auch der menschlichen Gemeinschaft. Miteinander sind wir dieser Würde, die ihren Grund in Gott hat, verpflichtet. Wo Menschen mit Füßen getreten, im Krieg instrumentalisiert und ihres Lebens beraubt werden, wo Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, wo Kinder keine Entwicklungschancen haben oder Menschen in ihrer Not allein gelassen werden, da ist sowohl Kirche auch als Caritas gefordert. Da können sich beide nicht entpflichten, Verantwortung zu tragen. Das ist eine eindeutige Option für den Menschen, insbesondere für den ‚armen‘ Menschen.

Welche Aufgaben können Kirche und Caritas konkret übernehmen?

Josef Lüttig

Wir sollten all unsere zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um für die Menschen da zu sein. Als Caritasverband haben wir Grenzen, wo wir nicht mehr das richtige Personal finden und wo unsere Dienste nicht mehr genügend Finanzierung erhalten. Im Erzbistum Paderborn sind wir bekanntlich wirtschaftlich gut aufgestellt. Auch wenn die Einnahmen aus der Kirchensteuer mal weniger werden sollten, dürfen sich Kirche und Caritas nicht vorschnell zurückziehen. Der Anspruch gelebter Nächstenliebe aus der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe hört nicht auf, auch wenn es mal an das Eigenkapital geht. Dafür steht die Caritas und dafür wird sie auch in Zukunft stehen.

Wie würde denn die Kirche ohne Wohlfahrtspflege zukünftig wahrgenommen?

Josef Lüttig

Kirche ohne Caritas wäre unglaubwürdig und um des eigenen Wesenskerns beraubt. Kirche ohne Caritas wäre nicht Kirche Jesu Christi. Aber natürlich wäre Kirche in unserer deutschen Gesellschaft ohne Wohlfahrtspflege rein theoretisch denkbar. Doch wir sollten auch als Kirche sehr dankbar sein, dass es in unserem Sozialstaat die freie Wohlfahrtspflege gibt. Der Staat ist für die Daseinsvorsorge verantwortlich. Die freie Wohlfahrtspflege entstand dazu aus kirchlichem oder – heute würde man sagen – bürgerschaftlichem Engagement. Sie ist abgesichert durch das verwirklichte Prinzip der Subsidiarität und damit ein wichtiges Instrument neben einem rein linear staatlichen Handeln. Es ist für unseren Staat und für unsere Kirche gut, dass es den katholischen Wohlfahrtsverband ‚Caritas‘ gibt.

„Das Evangelium ist ein Orientierungsrahmen, der immer wieder Impulse gibt, die zusätzlich die Menschenwürde sowie gutes und richtiges Handeln begründen. Darum wird unsere Gesellschaft auch in Zukunft das Evangelium benötigen. Wir dürfen den Menschen Jesus Christus und seine Botschaft nicht vorenthalten.“

 

Josef Lüttig

Was raten Sie den Verantwortlichen in Kirche und Caritas für die Zukunft?

Josef Lüttig

Bleiben sie beieinander! Das ist mein Rat. Wer Kirchenentwicklung will, sollte auch entschieden Caritas wollen. Und wer Caritas will, caritative Dienste und Einrichtungen, der muss dafür Sorge tragen, dass kirchlicher Geist darin vorkommt. Ich spreche hier bewusst nicht nur von einem christlichen, sondern von einem kirchlichen Geist. Damit meine ich einen einladenden, menschenfreundlichen Geist, der Vielfalt als etwas Positives erachtet. Die neue Grundordnung, das überarbeitete kirchliche Arbeitsrecht, zum Beispiel bietet dafür eine gute Basis. Es verpflichtet die Träger, sich wirklich aktiv für das Proprium, die christlichen Grundhaltungen und eine deutliche Wertorientierung einzusetzen.

Weiterhin würde ich dem Erzbistum Paderborn empfehlen, sich aktiv für Menschen einzusetzen, die wirtschaftlich und sozial am Rande unserer Gesellschaft leben müssen. Ich fand es immer sehr überzeugend, dass unser Kirchensteuerrat der Caritas Jahr für Jahr Sondermittel in Millionenhöhe hat zukommen lassen, um wichtige armutsorientierte Projekte finanzieren zu können.

Und wenn ich schon mal dabei bin: Ich möchte anraten, dass auch weiterhin personell für die Seelsorge in caritativen Einrichtungen gesorgt ist. Mit dem Dienst der ‚seelsorglichen Begleiterinnen und Begleiter‘ haben wir in den letzten Jahren einen guten pastoralen Dienst etablieren können, der nah am Menschen ist und echte Lebenshilfe leistet. Ich bin unserem emeritierten Erzbischof Hans-Josef Becker sehr dankbar, dass das möglich war.

Außerdem möchte ich raten, die ethischen Fragen in caritativen Einrichtungen auch weiterhin gezielt zu bearbeiten. Wir dürfen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit nicht allein lassen. Wie soll etwa mit dem assistierten Suizid in einer katholischen Einrichtung umgegangen werden? Das Proprium der Caritas ist eben vorwiegend nicht ein äußeres Zeichen, sondern gelebte und auf Reflexion basierende Praxis.

Zusammenfassend noch einmal: Bleiben sie beieinander! Das ist mein Ratschlag. Was das dann mit der Zeit immer wieder bedeutet, das ist immer wieder neu zu aktualisieren.

Wenn Sie einmal zurückblicken: Was hat Sie in den vergangenen Jahren am meisten bewegt?

Josef Lüttig

Positiv hat mich bewegt, wie viel Zusammenhalt es in der Caritas gibt, wie viele Menschen sich mit einem hohen Berufsethos in die Caritas einbringen, in Pflege und Sozialarbeit, in Beratung und Betreuung, in Verwaltung und Gestaltung. Manchmal fällt der Begriff der ‚Caritasfamilie‘. Diese Familie gibt es tatsächlich und sie ist recht vital.

Wer gehört dazu, an wen denken Sie?

Josef Lüttig

Ich denke an viele Menschen, die sich hauptberuflich wie ehrenamtlich einbringen, etwa in den Caritaskonferenzen, in Aufsichtsräten und konkret vor Ort, wunderbare Menschen, die ihre Zeit und ihre Lebensenergie teilen. Ich denke auch an Priester und Seelsorgerinnen und Seelsorger, die ein wirklich caritatives Herz haben und durchaus auch für die normalen menschlichen Bedarfe empathisch ansprechbar sind.

Gibt es etwas, worüber Sie sich besonders freuen oder wofür Sie dankbar sind?

Josef Lüttig

Ja, da gibt es vieles. Mich freut zum Beispiel besonders, dass wir in der Caritas in den letzten Jahren wirklich ernst gemacht haben mit der ‚Geschlechtergerechtigkeit‘. Wir haben auf der Ebene des Deutschen Caritasverbandes eine Präsidentin und nun zwei Frauen in einem dreiköpfigen Vorstand. Ähnlich bildet es sich auch im Diözesanverband Paderborn ab. Das bedeutet Chancengerechtigkeit unabhängig vom Geschlecht.

Besonders dankbar bin ich dafür, dass unsere Gesellschaft, trotz aller Rückschläge, fähig ist, eine Willkommenskultur für Geflüchtete zu gestalten. Ein Land, aus dem vor 80 Jahren Menschen aus Angst um ihr Leben geflohen sind, heißt heute Menschen willkommen, die aus Angst um ihr Leben geflohen sind. Dankbar und mit Freude blicke ich auch darauf zurück, dass es uns gelungen ist, die young caritas wachsen zu lassen. Mittlerweile 14 Standorte im Erzbistum Paderborn zeugen von einem kreativen, engagierten Engagement junger Leute, das absolut authentisch ist. Das ist ein wichtiger Lernort für junge Menschen wie für die Caritas selbst. Auch die U25 ist hier zu nennen, das kostenlose Beratungsangebot für junge Menschen bis 25 Jahre in suizidalen Krisen.

Wir, viele engagierte Menschen, haben einiges, auch sozialpolitisch bewirken können, zum Beispiel in der Sorge um Langzeitarbeitslose, um Inklusion, um Qualität in der Pflege und Pädagogik. Und es wird weitergehen. Es bewegt mich sehr, dass das Erzbistum Paderborn stolz ist auf ihre Caritas und sich mit ihr identifiziert.

Welche Themen oder gesellschaftlichen Herausforderungen bleiben Ihnen unvergessen in Erinnerung?

Josef Lüttig

Das ist tatsächlich eng verbunden mit Krisensituationen, wie die großen Fluchtbewegungen ab 2015/2016 aufgrund des Kriegs in Syrien oder jetzt aktuell wegen des Kriegs gegen die Ukraine.

Mir fällt die Seenotrettung ein, für die wir uns als Caritas und Erzbistum Paderborn aktiv eingesetzt haben. Hierbei bleibt aber auch Trauer darüber zurück, wie viele Menschen nicht gerettet werden konnten, auch weil sie zum Beispiel auf offenem Meer zurückgedrängt wurden.

Schmerzlich in Erinnerung bleiben mir die Verletzung, die hervorgerufen wurden durch die sexualisierte Gewalt und durch einen gänzlich falschen Umgang mit den Opfern sowohl in der Kirche als auch in caritativen Einrichtungen. Entschiedene Aufarbeitung tut Not. Gespannt blicke ich auf die Chancen, die im Synodalen Weg liegen.

Unvergessen bleibt mir, dass Menschen in Krisensituationen bereit sind zu spenden, auch wirklich zu teilen und uns als Caritas erst in die Lage versetzen, anderen zu helfen. Nie standen wir alleine da. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Aber auch Personen bleiben mir unvergessen, mit denen ich gemeinsam die Leitung des Caritasverbandes wahrgenommen habe. Da ist mein Vorgänger als Diözesan-Caritasdirektor, Volker Odenbach, dessen Stellvertreter ich zunächst vier Jahre lang war und von dem ich viel lernen durfte. Da sind die beiden Vorsitzenden Weihbischof Manfred Grothe und Domkapitular Dr. Thomas Witt, die mir stets den Rücken gestärkt haben, und schließlich meine Kollegin Esther van Bebber, mit der ich auf der Basis unserer neuen Satzung ein Vorstandsduo bilden durfte, das absolut zielorientiert und vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Aber ich möchte hier auch und gerade Alfons Hardt als ehemaligen Generalvikar und jetzt den Ständigen Vertreter Thomas Dornseifer benennen, die gelegentlich konstruktiv-kritisch, aber doch stets fördernd die Caritas begleitet haben.

Also, es bleiben mir viele Menschen, mit denen ich in Caritas und Pastoral zusammenwirken durfte. Dafür bin ich außerordentlich dankbar.

Ein Beitrag von:
© ThF-PB

Benjamin Krysmann

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