„Das Zukunftsbild ist in der Fläche angekommen“
Weihbischof Dominicus, Sie sind im Rahmen Ihrer Visitations-Besuche viel im Erzbistum unterwegs. Wie nehmen Sie dabei die Stimmung in den Pfarreien hinsichtlich des Zukunftsbildes wahr?
Ich erlebe sehr viele unterschiedliche Stimmungen auf meinen Reisen. Es gibt nicht die eine Stimmung, die alles als gut oder schlecht erachtet. Das Erzbistum befindet sich derzeit in einer großen Umbruchsituation, in der viele spüren, dass bisher durchgeführte Gewohnheiten an ihre Grenzen kommen. Gleichzeitig werden viele neue Projekte initiiert.
Da wären neben dem Zukunftsbild, die Zuordnung Pastoraler Räume, diverse Schutzkonzepte oder die Energieoffensiven. Bis jedoch deutlich wird, dass wirklich etwas Neues erwächst, das Neue trägt, braucht es seine Zeit.
Wie unterscheiden sich die Herausforderungen von Ort zu Ort?
Unser Erzbistum ist sehr vielgestaltig. Wir haben Diasporagebiete im Siegerland oder im Raum Herford, das Sauerland mit vielen kleinen Gemeinden, das katholisch geprägte Paderborn, Dortmund als Großstadt sowie Teile von Niedersachsen und Hessen. Die Strukturen sind überall ein wenig anders. Ich erlebe einen deutlichen Unterschied, ob ich in Gemeinden komme, die eine dörfliche Prägung haben, wo z.B. Vereinsstrukturen eine bedeutende Rolle spielen oder, ob ich eine Stadt-Gemeinde besuche, die ganz anders agiert und sich breiter aufstellen kann. Diese jeweilige Prägung der Gemeinde spielt eine große Rolle.
Welche Bedeutung haben unterschiedliche Gemeinde- und Priesterbilder?
Es macht einen Unterschied, ob der Orts-Pfarrer gerade erst geweiht worden ist oder vor 50 Jahren. Die Stellung eines Priesters im Ort war vor 50 Jahren eine ganz andere. Gemeinsam mit dem Lehrer und dem Bürgermeister bildete er die Spitze im Ort. Daneben gibt es Priester, die ich als klassische 1968er-Generation bezeichne, die sehr frei denken und vielen Dingen offen gegenüber stehen. Wieder andere möchten aus Ängstlichkeit vieles bewahren, andere etwas verändern.
Diese Polarisierungen dürfen nicht weggeredet werden, es gibt sie. Die Frage ist, wie man damit umgeht.
Wie einigen sich Gemeinden in diesen Situationen?
An solchen Kristallisationspunkten muss gut abgewogen und schließlich eine Entscheidung getroffen werden. Da braucht es eine gute Zusammenarbeit von Pfarrteam und Engagierten. Manchmal muss ich Etwas loslassen, um etwas Neues gestalten zu können. Und diese Freiheit gibt meines Erachtens das Zukunftsbild. Was aber gleichzeitig auch ein sehr hoher Anspruch ist. Denn Haltungen zu verändern ist immer schwieriger als Strukturen abzuwandeln oder anzupassen.
Bemerken Sie bereits Veränderungen?
Meiner Meinung nach ist das Zukunftsbild ist in der Fläche angekommen.
Ich bemerke, dass die Intention, der zentrale Gedanke des Zukunftsbildes, verstanden und von den Meisten angenommen wird. Die Idee, dass es um die grundsätzliche Haltung geht, die sich ändern soll, dringt immer weiter durch.
Doch es braucht weiterhin Zeit und Mut. Und ich wünsche mir, dass sich die Gemeinden und wir in der Bistumsleitung uns diese Zeit nehmen und den Mut aufbringen, das Zukunftsbild umzusetzen. Gemeinsam können wir die Haltungen nach und nach verändern.
Wo begegnet Ihnen in der Fläche das Zukunftsbild? Haben Sie ein Beispiel dafür, wie es umgesetzt wird?
Ein Beispiel sind Firmungen, bei denen ich Veränderungen bemerke. Bisher gab es oft die Vorstellung, dass die Firmlinge nach ihrer Firmung die neue Gemeindegeneration bilden sollen. Aber das ist so gar nicht mehr möglich. Jugendliche im Warburger Land beispielsweise, aus dörflichen Strukturen, verlassen nach ihrem Schulabschluss das Dorf, um ein Studium oder eine Ausbildung zu beginnen. Hier sind die Firmkonzepte an die Lebensrealität der Jugendlichen anzupassen.
Wie wurden diese angepasst?
Bisher wurden meist die einzelnen Geburtsjahrgänge angeschrieben und anschließend gemeinsam gefirmt. In dem Alter, in dem junge Leute gefirmt werden, passieren gleichzeitig gravierende Umbrüche in ihrem Leben. Manche beginnen eine Ausbildung, andere bereiten sich auf das Abitur vor, Mädchen sind in ihrer Entwicklung auf einem anderen Stand als Jungen. Also warum gehen wir in der Firmvorbereitung nicht auf diese Punkte ein und bereiten die Jugendlichen zumindest in Teilen gruppenspezifisch vor?
Glaube und Religion sollen etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben und nicht etwas, das sperrig sich dagegensetzt. Da gibt es jetzt erste Gemeinden, die ermutigt durch das Zukunftsbild, etwa Neues ausprobieren. In Bielefeld beispielsweise wurden drei Termine zur Firmung angeboten und die Jugendlichen konnten sich den für sie am besten passenden Termin aussuchen. Das sind Experimente, die gewagt werden. Der Glauben muss in den Alltag der Menschen hinein.
“Zu kopieren oder etwas nachzumachen, nur weil es woanders gut gelingt, ist nicht immer der richtige Weg. Das Zukunftsbild ermutigt, dass man etwas ausprobieren darf, man darf anders sein als die Nachbar-Pfarrei.”
Sind in diesem Zusammenhang auch andere Gottesdienst-Formen denkbar?
Selbstverständlich. Es muss nicht immer die Eucharistie-Feier sein. Wichtig ist, dass Gott und sein Evangelium im Mittelpunkt stehen. Oft bewirken schon kleine Veränderungen eine ganz andere Atmosphäre. Musik- und Licht-Inszenierungen können einer Kirche ein ganz neues Gesicht geben. Immer wieder stelle ich fest, wie intensiv man mit ganz wenigen Mitteln die Menschen erreichen kann, die am Ende tief bewegt das Gotteshaus wieder verlassen.
In Langenholthausen durften Jugendliche die Kirche umgestalten. Sie haben die Bänke umgestellt und „Chill-and-Pray-Bereiche“ eingerichtet. Am Abend mussten die Jugendlichen regelrecht aus der Kirche hinaus geworfen werden, weil sie sich so wohl gefühlt haben, sie hatten einen Ort für sich gefunden, der sie angesprochen hat. Hier zeigt sich einmal wieder, Kirche ist nicht nur Liturgie, es geht auch um die „communio“, die „Gemeinschaft“. Diese wird in neuen Formen sichtbar.
Und dies ist im Sinne des Zukunftsbildes?
Auf jeden Fall! Das Zukunftsbild ermutigt, dass man etwas ausprobieren darf, man darf anders sein als die Nachbar-Pfarrei.
Zu kopieren oder etwas nachzumachen, nur weil es woanders gut gelingt, ist nicht immer der richtige Weg. Es gilt die Vielfalt zu schätzen. Ein glaubhaft gelebtes Evangelium hat etwas mit Authentizität derer, die es verkünden und leben, zu tun. Wenn Jemanden nicht das ausstrahlt, was er verkünden möchte, kommt es bei den Menschen nicht an. Die Leute sind sehr sensibel, sehr empathisch für diese Dinge.
Also empfehlen Sie, manches einfach einmal auszuprobieren?
Genau. Wie heißt es so schön im Matthäus-Evangelium: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da fragen die Knechte den Gutsherrn: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.
Dieses Zitat aus Mt 13, 24-30 ermutigt mich, bestimmte Dinge einfach einmal wachsen zu lassen und zu sehen, was geschieht – aber mit Wertschätzung und ohne strikte Kontrolle. Die Menschen suchen sich von sich aus die Dinge, die sie brauchen.
Das Themenspecial
In den kommenden Wochen geht dieses Themenspecial der Frage nach, welchen Weg der Aufbruch genommen hat, der vor fünf Jahren seinen Anfang nahm. Wir sprechen mit Menschen, die den Weg des Erzbistums intern begleiten und auch mit jenen, die die Geschehnisse rund um Kirche von außen verfolgten.
Deshalb sollten wir auch einmal über die Pfarrei-Grenzen hinaussehen?
Die Mobilität gibt uns heute zahlreiche Chancen und diese sollten wir nutzen. Jemand, der beispielsweise Gefallen an der Dommusik hat, kommt zu entsprechenden Gottesdienstes und Konzerten in den Dom. Junge Familien nehmen an Familien-Gottesdiensten teil und das auch in anderen Pfarreien.
Die Pfarrei selbst wird mehr und mehr zu einer Verwaltungsebene. Die Menschen suchen sich die Angebote, die ihnen persönlich gefallen und gehen dorthin. Dies darf nicht als Flucht aus der Pfarrei angesehen werden oder zu einem Konkurrenzdenken führen. Schließlich wollen wir doch alle, dass die Menschen aus dem Evangelium Kraft für ihren konkreten Alltag schöpfen.
Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, um die Umsetzung des Zukunftsbildes weiter zu fördern?
Ich persönlich bin schon jetzt sehr dankbar, dass wir einen Erzbischof haben, der vieles angestoßen und zugelassen hat. Dennoch kostet jede Veränderung Zeit und Mut und man benötigt einen langen Atem, bis sich zeigt, ob der gegangene Weg der richtige ist.
Und für diese Beurteilung sind fünf Jahre noch eine recht kurze Zeit. Auch nach diesem kleinen Jubiläum braucht es weiterhin mehr Zeit und natürlich eine gute Prise Gottvertrauen.
Weihbischof Dominicus, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lena Jordan. Fotos: Tobias Schulte.