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Erzbistum Paderborn
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„Der Inbegriff eines christlichen Bischofs“

Die Kirchenhistorikerin Dr. Ursula Olschewski über Leben und Verehrung des hl. Martin von Tours

Die Kirchenhistorikerin Dr. Ursula Olschewski über Leben und Verehrung des hl. Martin von Tours

Martin von Tours gehört sicherlich zu den populärsten Heiligen in Europa. Mehr als 3.600 Kirchen stehen allein in Frankreich unter seinem Patrozinium. Schon den Kleinsten ist der heilige Martin bestens bekannt: An den Laternenumzügen, die zum Gedenken an seine Grablegung am 11. November stattfinden, nehmen vor allem Kinder teil, die in der KiTa oder zu Hause oft selbst Laternen basteln. In diesem Jahr müssen die Umzüge Corona-bedingt leider ausfallen, doch Martin ist und bleibt populär. Warum das so ist und was diesen Heiligen so besonders macht, darüber haben wir mit der Paderborner Kirchenhistorikerin Dr. Ursula Olschewski, Expertin für religiöse Volkskunde, gesprochen.

Redaktion

Wie kam es überhaupt dazu, dass der heilige Martin bekannt wurde?

Dr. Ursula Olschewski

Dazu hat vor allem Sulpicius Severus (*um 363 bis 420 n. Chr.) beigetragen, ein aquitanischer Schriftsteller und Zeitgenosse Martins. Er besuchte Martin und war von ihm, seiner Theologie und seiner Askese sehr beeindruckt. Noch zu Lebzeiten Martins verfasste Sulpicius die „Vita sancti Martini episcopi et confessoris“ (Leben des heiligen Martin, des Bischofs und Bekenners). Darin erscheint Martin als der Inbegriff eines christlichen Bischofs, als ein Heiliger. Die Vita Martini enthält neben historisch nachprüfbaren Fakten aber auch viel Legendarisches.

Redaktion

Was weiß man denn über Martins Herkunft?

Dr. Ursula Olschewski

Martins Geburtsjahr ist umstritten: Es wird auf 316/17 bzw. um 336 datiert. Zur Welt kam er im heutigen Szombathely in Ungarn, dem römischen Sabaria in Pannonien. Sein Vater war wohl ein römischer Soldat. Im Alter von 15 Jahren beugte sich Martin dem Willen seines Vaters und trat in die römische Armee ein. Dort diente er in einer zur Leibwache des Kaisers gehörenden Truppe. In diese Zeit fällt die bekannteste Erzählung über Martin überhaupt.

Redaktion

Natürlich die Erzählung von der Mantelteilung?

Dr. Ursula Olschewski

Ganz genau. Sulpicius zufolge begegnete Martin mitten im Winter am Stadttor Amiens einem notdürftig bekleideten Armen. Dieser bat die Vorübergehenden, sich seiner zu erbarmen. Aber alle gingen an ihm vorbei. Da zog Martin das Schwert, teilte seinen Soldatenmantel in zwei Teile und schenkte dem Armen die Mantelhälfte. In der darauffolgenden Nacht hatte Martin eine Vision: Christus offenbarte ihm, dass er selbst es gewesen war, der so von ihm bekleidet worden sei und dass sich an Martin das Wort erfüllt hätte: „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

„Martin von Tours galt im Volksglauben als „apostelgleich“ und wurde bereits im 5. Jahrhundert als Heiliger angerufen. Er war in der Westkirche der erste heilige Nichtmärtyrer, der sein Glaubenszeugnis durch sein bekennendes Leben abgelegt hat. (…) Auch außerhalb des Frankenreichs, vor allem in Nordwestdeutschland, verbreitete sich die Martinsverehrung schnell. Dort wurden ihm die ersten Kirchen geweiht. Als Kirchenpatron und Volksheiliger begegnet St. Martin besonders häufig im Trierer und Kölner Raum.“

 

Dr. Ursula Olschewski

Redaktion

Wie ging es nach diesem Erlebnis in Martins Leben weiter?

Dr. Ursula Olschewski

Martin ließ sich taufen – laut Sulpicius eine weitere wichtige Etappe in seinem Leben. Er empfing das Sakrament im Alter von 18 Jahren von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers. Zwei Jahre später schied Martin aus dem Militärdienst aus. Wie Sulpicius berichtet, sollte Martin im Auftrag von Hilarius in seine Heimat reisen, um seine Eltern für den christlichen Glauben zu gewinnen. Demnach ließ sich Martins Mutter taufen, sein Vater blieb Heide. Diese Episode ist legendenhaft. Wahrscheinlicher ist, dass Martin im Auftrag von Hilarius unter den Germanen missionieren sollte.

Redaktion

Aber bei den Aufgaben eines Missionars sollte es nicht bleiben…

Genau. Nachdem Martin wohl zehn Jahre als Asket gelebt hatte, wurde er in Tours um 371 auf Drängen des Volkes und gegen das Votum anderer Bischöfe zum Bischof gewählt. Laut Sulpicius behaupteten einige Nachbarbischöfe, Martin sei ein verachtenswerter Mensch. Weiter heißt es dort: Ein Mann von so kümmerlichem Aussehen, mit schmutzigem Kleid und ungepflegtem Haar sei nicht würdig, Bischof zu werden (Vita 9,3). Sulpicius berichtet ferner legendarisch, dass Martin gegen seinen Willen zum Bischof gewählt wurde. Als ihm nämlich zugetragen wurde, dass das Volk ihn als Bischof wünschte, versteckte er sich in einem Stall. Die dort untergebrachten Gänse verrieten jedoch sein Versteck durch ihr lautes Schnattern.

Redaktion

Was weiß man über sein Wirken als Bischof?

Dr. Ursula Olschewski

Zunächst, dass er auch als Bischof seine asketische Lebensweise beibehielt. Anfangs wohnte er in einer Zelle neben der Kathedrale, 375 gründete er vier Kilometer von seiner Bischofsstadt eine Kolonie, woraus sich das Kloster Maius monasterium, das heutige Marmoutier, entwickelte. Unter Martins Leitung lebten hier 80 Mönche, die ihren Lebensunterhalt durch Spenden bestritten. Mit deren Hilfe gründete Martin in seinem Bistum Landpfarreien. Sulpicius Severus beschreibt Martin als einen frommen und gütigen Mann, der bereits zu seinen Lebzeiten verehrt wurde. Dazu trugen zahlreiche ihm nachgesagte Wunder bei wie die Erweckung eines toten Kindes oder Heilungen von Leprakranken. Vermutlich im Jahr 397 starb Martin am 8. November auf einer seiner Missionsreisen durch sein Bistum und wurde am 11. November in Tours beigesetzt.

Redaktion

Warum hat ihn die Kirche dann heiliggesprochen?

Dr. Ursula Olschewski

Martin von Tours galt im Volksglauben als „apostelgleich“ und wurde bereits im 5. Jahrhundert als Heiliger angerufen. Er war in der Westkirche der erste heilige Nichtmärtyrer, der sein Glaubenszeugnis durch sein bekennendes Leben abgelegt hat. Die liturgische Verehrung von Martin hat dann Perpetuus angeordnet – er war von ca. 461 bis 491 Bischof von Tours. Über dem Grab Martins ließ er eine Basilika errichten, woraus die Abtei St. Martin entstand. Auch außerhalb des Frankenreichs, vor allem in Nordwestdeutschland, verbreitete sich die Martinsverehrung schnell. Dort wurden ihm die ersten Kirchen geweiht. Als Kirchenpatron und Volksheiliger begegnet St. Martin besonders häufig im Trierer und Kölner Raum.

Vor allem bei Kindern ist der heilige Martin beliebt. 1910 führte der Bocholter Heimatverein den Martinsumzug ein, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in Westfalen verbreitete. Dabei reitet eine als St. Martin verkleidete Person auf einem Pferd vor den Kindern her. In diesem Jahr können wegen der Corona-Pandemie leider keine Martinsumzüge stattfinden. Ganz auf St. Martin verzichten müssen die Kinder aber nicht: Viele Pfarrgemeinden und Einrichtungen haben sich kreative Alternativen zu den Laternenumzügen überlegt.

Redaktion

Für uns im Erzbistum Paderborn ist besonders wichtig, dass St. Martin ein Freund des hl. Liborius war. Was weiß man darüber?

Dr. Ursula Olschewski

Leider nicht viel. Beide verband eine Freundschaft. Martin von Tours leistete Liborius Beistand beim Sterben und bestattete ihn.

Redaktion

Wie kam es dazu, dass der hl. Martin so bekannt und populär wurde – vor allem bei Kindern?

Dr. Ursula Olschewski

Der Martinstag am 11. November ist von zahlreichen beliebten Bräuchen geprägt. In katholischen Gebieten wie im Rheinland gab es bereits im 19. Jahrhundert Martinsspiele und Martinsumzüge. In einigen Teilen Westfalens – vor allem im Münsterland – war der Martinstag von einem Heischeumzug der Kinder bestimmt. Dabei zogen die Kinder mit ihren Laternen umher und wurden für ihren Gesang mit kleinen Gaben belohnt. Da das Martinsheischen in einigen Orten des Münsterlandes als Bettelei angesehen wurde, führte der Bocholter Heimatverein 1910 den Martinsumzug ein, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in Westfalen weit verbreitete.

Redaktion

Was ist die Wurzel dieser Traditionen?

Dr. Ursula Olschewski

In der katholischen Kirche ist der Martinsumzug mit Martinslaternen und Martinslampen ein Teil der Lichtsymbolik. Sie beginnt am Allerseelentag und führt über Advent und Weihnachten bis Lichtmess am 2. Februar. Die Lichterumzüge mit Martinslampen haben inzwischen die Martinsfeuer abgelöst. Das Martinsfeuer hat seinen Ursprung in den Riten der germanischen Wintersonnenwendfeier und des germanischen Erntedankfestes. Nach Manfred Becker-Huberti bringt es „Licht in das Dunkle, wie die gute Tat Martins das Erbarmen Gottes in die Dunkelheit menschlicher Not brachte“.

Redaktion

Und dann gibt es ja noch die Martinsgänse…

Dr. Ursula Olschewski

Die seit dem 16. Jahrhundert aufkommenden Martinslegenden liefern eher volkstümliche Begründungen für den Gänsebraten zu St. Martin. Eine davon berichtet, dass eine Gänseschar Bischof Martin beim Predigen gestört hätte. Sie habe laut schnatternd die Kirche betreten, in der Martin gerade seine Predigt hielt. Zur Strafe seien die Gänse kurzerhand eingefangen und anschließen gebraten worden.

Tatsächlich basiert der Brauch, am Martinsfest einen Gänsebraten zu verzehren, aber wohl eher auf dem Martinstag als Hauptzinstag. An diesem Tag begann bei den Bauern das neue Wirtschaftsjahr, was bedeutete, dass die fällige Pacht  an die Lehnherren gezahlt werden musste. Da im Mittelalter sehr oft Naturalien das Geld ersetzten, beglichen die Schuldner in vielen Fällen ihre Pacht mit einer Gans. Zudem wurde auf Martini auf den Höfen ein Teil des Viehs geschlachtet, denn im Winter war das Tierfutter knapp. Dazu gehörten auch die ersten fetten Gänse. Es war zudem die letzte Möglichkeit, vor dem Fasten im Advent noch einmal ausgiebig zu speisen.

Gänse und der heilige Martin - eine schwierige Beziehung

Der Legende zufolge wollte Martin gar nicht Bischof sein. Als ihm zugetragen wurde, dass das Volk ihn als Bischof wünschte, versteckte er sich in einem Stall. Die dort untergebrachten Gänse verrieten jedoch sein Versteck durch ihr lautes Schnattern. Eine andere Legende berichtet, dass eine Gänseschar Bischof Martin beim Predigen störte. Sie habe laut schnatternd die Kirche betreten, in der Martin gerade seine Predigt hielt. Zur Strafe seien die Gänse kurzerhand eingefangen und anschließen gebraten worden.

Redaktion

Dass Advent etwas mit Fasten zu tun hat, kann man sich heute kaum noch vorstellen….

Dr. Ursula Olschewski

Früher begann die Adventszeit bereits am 12. November als sechswöchige Fastenzeit. Die Wochen vor Weihnachten waren ursprünglich eine Zeit des Verzichts, vor allem auf Fleisch. Das Adventsfasten ist seit dem 11. Jahrhundert überliefert. Heute ist die Tradition aber fast nur noch bei orthodoxen Christen lebendig.

Redaktion

Ist es eigentlich ein Zufall, dass der St. Martins-Tag am 11. November auch der Beginn der Karnevalssaison ist?

Dr. Ursula Olschewski

Das ist kein Zufall. In der langen Adventsfastenzeit durfte ja nicht gefeiert, nicht getanzt werden. Der 11. November war der Tag vor dieser adventlichen Fastenzeit und da wollte man noch einmal viel essen, trinken und natürlich auch feiern. „Karneval“ ist seit dem 17. Jahrhundert bezeugt, dessen Wortgeschichte bleibt jedoch unklar. Die heute geläufigste Erklärung nimmt Bezug auf die Fastenzeit als fleischlose Zeit und sieht die Ursprünge des Begriffs Karneval im lateinischen „carne vale“: „Fleisch – lebe wohl“.

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