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Erzbistum Paderborn
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Mitglieder des Nörder Schützenvereins marschieren bei der Parade des Schützenfestes© Schützenverein Nörde

Ein Verein, der das Dorf zusammenhält

Udo Wiegard ist seit 13 Jahren Oberst im Nörder Schützenverein - weil sich kein Nachfolger findet. Warum dieses Ehrenamt trotzdem wichtig ist

Das kleine Dorf Nörde nördlich der ostwestfälischen Stadt Warburg zählt 629 Einwohner. Davon sind 232 Mitglied im örtlichen Schützenverein. Einer von ihnen ist Udo Wiegard. Er ist aber nicht irgendeiner, nein, er ist der Oberst der Schützenkompanie. Und das seit 13 Jahren.

Wenn man ihn fragt, warum er sich schon so lange in dem Verein engagiert, antwortet Udo Wiegard ohne zu zögern: „Weil es mir Spaß macht. Sonst würde ich das nicht machen.“ Aber er steht auch deshalb seit Jahren an der Spitze der Kompanie, weil sich kein Nachfolger findet. „Brauchtum und Tradition verändern sich wenig“, sagt er. Nach den vielen Jahren als Oberst beobachte er bei sich selbst, wie „man eine Schublade aufmacht, man weiß, was funktioniert und macht das dann wieder“. Doch ihm sei es wichtig, dass auch andere Ideen ausprobiert werden könnten. „Das würde dem Posten und dem Verein guttun.“

Verantwortung vor der Geschichte des Vereins

Deshalb habe er schon einmal versucht, seinen Posten an ein anderes Mitglied zu übergeben. 2016 war das, da war er schon acht Jahre Oberst – davor neun Jahre Hauptmann und davor wiederum drei Jahre Leutnant. Doch nachdem der Vorstand nach einem Jahr keinen Nachfolger gefunden hatte, machte er weiter. Sein Grund: „Wenn keiner Verantwortung übernimmt, dann geht so etwas zu Ende. Und das wäre schade.“

Mit dem leisen Stolz der Ostwestfalen erzählt er von der langen Tradition des Vereins. 1736 gegründet – da war Paderborn noch Fürstbistum und wurde vom prunkliebenden Wittelsbacher Clemens August regiert. „Wir sprechen hier von 285 Jahren. Da waren sicherlich ganz harte Jahre dabei. Und jetzt, wo es uns seit 70 Jahren gut geht, haben wir auf einmal Probleme, unseren Verein aufrechtzuerhalten?“ Die Mitgliederzahlen seien nicht das Problem, die blieben konstant. Aber „die Leute sind einfach nicht mehr bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie lassen sich zwar gerne bei der Hand nehmen und tun, um was man sie bittet.“ Die wenigsten ergreifen jedoch selbst Initiative. Den Schützenvereinen der Umgebung gehe es ganz ähnlich.

Der Nörder Verein als Beispiel für einen bundesweiten Trend

Damit steht Nörde exemplarisch für eine Entwicklung im Schützenwesen und im Ehrenamt allgemein: Der Freiwilligensurvey misst seit 1999 steigende Zahlen, was die Engagierten angeht. Doch die Zahl derer, die viel Zeit in die Sache investieren und Leitungsfunktionen übernehmen, geht zurück. Udo Wiegard hat eine klare Meinung dazu: „Ich kann nicht darauf warten, dass mir einer sagt: ‚Kehr, wir machen das jetzt mal!‘ Da muss man sich schon zusammentun und Dinge organisieren.“

Er wisse natürlich, dass sein Ehrenamt kaum mit dem Engagement etwa im Hospizdienst vergleichbar sei. In den zwei Sommermonaten um Königschießen und Schützenfest sei viel los, aber den Rest des Jahres bleibe der Arbeitsaufwand „ganz moderat“. Deshalb sagt er: „Das ist schon ein sehr angenehmes Ehrenamt.“ Trotzdem „ist es wichtig, was wir hier machen“.

Nicht bloß ein Männerbund mit Hang zum Alkohol

Warum? Um was wäre es schade, wenn es den Nörder Schützenverein ab Morgen nicht mehr geben würde? Wer von außen auf die Schützenvereine in vielen Dörfern Ostwestfalens und des Sauerlands blickt, meint vielleicht, bloß Männerbünde mit Hang zum Alkohol zu sehen. Doch wer mit Udo Wiegard über sein Ehrenamt spricht, dem wird schnell klar, dass sein Verein zwei wichtige Aufgaben übernimmt.

„Gleich im ersten Paragrafen unserer Satzung steht, dass es die Aufgabe des Schützenvereins ist, die verschiedenen Schichten des Ortes – heute würde man eher Altersgruppen sagen – zusammenzubringen“, sagt Udo Wiegard. Er selbst sei mit 18 Jahren in den Verein eingetreten. Früher geht das auch nicht, seit 1836 ist es das Mindestalter, um in den Nörder Schützenverein aufgenommen werden zu können. Mit ihm sei damals, im Jahr 1983, praktisch sein ganzer Jahrgang eingetreten. Die Antwort auf die Frage, warum man eintritt, lautete für ihn also: Weil alle es machten.

Gemeinschaft im Schützenverein

Der Gemeinschaftsaspekt spielte eine wichtige Rolle, der Verein bot den Jugendlichen Gelegenheit, sich zu treffen. Bei den Veranstaltungen, an denen die jungen Schützen dann teilnahmen, „gab es auch erste Kontakte zu den älteren Schützen. Die hatten natürlich spannende Sachen zu erzählen, die man unter Gleichaltrigen so nicht mitbekommen hätte.“

Vereine – Damit das Dorf Heimat wird

Geselligkeit – was steckt hinter dem Wort in der Satzung des Vereins? Es sei wichtig, dass es im Dorf eine Gemeinschaft gebe, sagt Udo Wiegard. In Zeiten, in denen junge Menschen für Ausbildung oder Studium wegziehen, braucht es die gerade zwischen Jungen und Älteren. Damit ein Gemeinschaftssinn aufkommt und bestehen bleibt. Und auch, wenn Menschen wieder oder neu nach Nörde ziehen. „Jeder, der in unserem Dorf oder in unserer Gegend wohnt, der soll sich hier auch wohlfühlen, soll hier seine Heimat finden.“ In Nörde gibt es neben dem Schützenverein noch einen Musikverein und einen Sportverein. „Eine Dorfgemeinschaft lebt vom Vereinsleben“, ist Udo Wiegard überzeugt.

Strenggenommen sei der Nörder Schützenverein gar kein Schützenverein. Dem Verein fehle nämlich die Schießsportabteilung. Die mache einen Schützenverein normalerweise aus. „Typische Schützenvereine im Paderborner Raum würden uns als Heimatverein oder Heimatschutzverein bezeichnen.“ In Udo Wiegards Augen sei das aber keine Abwertung. Geschossen werde zwei- bis dreimal im Jahr trotzdem – dann eben mit mehr Spaß als sportlichem Ehrgeiz.

Ein Gedächtnis aus vielen Köpfen

Und das mit dem Heimatschutz ist vielleicht gar kein so schlechtes Label. Googelt man den Begriff Heimatverein, stößt man erst einmal auf Gruppen, die sich der Pflege von Dialekten, des Brauchtums oder der Erforschung der Lokalgeschichte verschrieben haben. Ihre Mitglieder tragen zumeist keine Uniform (die in Nörde übrigens aus einem einfachen schwarzen Anzug und einer schwarzen Uniformmütze mit Eichenlaub besteht). Doch auch wenn die Nörder Schützen nicht regelmäßig Forschungsergebnisse publizieren, ist der Verein nichtsdestotrotz eine Art lebendiges, aus vielen Köpfen bestehendes Gedächtnis der Ortsgeschichte.

Der Verein zwischen Früher und Heute

Das Erinnern klappt erstaunlich gut, wie das älteste Foto des Vereins beweist: Es stammt aus dem Jahr 1914, zeigt Schützen und ihre Frauen vor der alten Schützenhalle. Wiegard erzählt, durch Herumfragen unter den betagteren Mitgliedern im Verein konnte man fast alle Personen identifizieren. Abgesehen von ein paar Männern in der letzten Reihe, kenne man heute alle Namen und wisse auch, wer die jeweiligen Nachfahren im Dorf seien. Diese kollektive Erinnerungsfähigkeit betrifft nicht nur vergangene Schützenfeste, sondern auch kirchliche Aspekte.

Beispiel Prozessionen: „Seit dem 19. Jahrhundert ist es so, dass der Schützenverein an den örtlichen Prozessionen teilnimmt.“ Das heißt: Am ersten Wochenende im Juli, dem Fest Maria Heimsuchung, das in Nörde Patronatsfest ist, begleiten die Schützen die Prozession mit einer Fahnenabordnung. An Fronleichnam würden sie das auch tun. „Doch die Prozessionen finden nur noch sehr selten in Nörde statt.“ Denn im Pastoralverbund Warburg, der 15 Pfarreien und Pfarrvikarien umfasst, gehe es reihum. Deshalb sei es „schon viele Jahre her, dass es bei uns eine Fronleichnamsprozession gab“. Aber wenn es eine gegeben habe, sei der Verein immer präsent gewesen, sagt Wiegard.

Zeugen katholischer Tradition

Laut Satzung ist der Verein konfessionell neutral. Das geübte Auge erkennt aber doch einige katholische Bezüge im Auftreten des Vereins. Das fängt bei der blau-weißen Schärpe der Schützen an – die Farben der Gottesmutter Maria – und wird bei den Fahnen der Kompanie besonders deutlich: Auf leuchtendem Rot sind in Gold die Abkürzungen „MRA“ für Maria und „IHS“ für Jesus aufgestickt. Das ist die erste Fahne, die jeder Parade vorangetragen wird. „Wir wissen nicht genau, wie alt sie ist. Aber auf dem ältesten Foto von 1914 kann man sie schon sehen.“ Wiegard vermutet, dass sie aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt.

Die zweite Fahne ist deutlich jünger, gerade mal 60 Jahre alt. Doch auch hier findet sich der Bezug zur Muttergottes: Groß und farbig ist sie aufgestickt. Die andere Seite zieren dann aber auch gekreuzte Gewehre und das Motto: „Scharfes Auge, guter Schuss und die Hand zum Brudergruß.“ Der Verein ist ja auch keine Marianische Kongregation, sondern immer noch ein Schützenverein.

Überlieferung klappt nur im Verein

Zusammenhalt und Überlieferung. Das sind für Udo Wiegard zwei Gründe, warum sein Schützenverein weiter bestehen muss. „Hinter diesem Ehrenamt steckt so viel Geschichte.“ Pflege des Brauchtums – in seinen Augen ist das keine Worthülse. Egal ob Marienmonogramm oder Schützenmesse: Der Nörder Schützenverein hält Zeugnisse und Praktiken des Glaubens früherer Generationen wach. Und er tradiert bei Festen oder dem Gedenken an die Weltkriegstoten Geschichte des Vereins und des Dorfes. „All das darf nicht vergessen werden.“

Wenn der Verein in 20 Jahren nicht mehr existieren würde, dann wären nicht nur Schützentraditionen vergessen, sondern auch so viel Anderes. Die Vergangenheit mag beim Königschießen nicht immer an erster Stelle stehen. Doch ist sie in den Erzählungen der Mitglieder lebendiger, zugänglicher als im Geschichtsbuch. Und teilweise handelt es sich ja auch um Details, die es noch in keine Publikation geschafft haben. Diese Arbeit kann kein Dorfchronist leisten. „Wir leben aus Erzählung, Überlieferung, schriftlicher und verbaler Art. Und das funktioniert meiner Meinung nach nur in der Gemeinschaft, in diesem Fall im Verein.“

Verantwortung übernehmen

Damit der Nörder Schützenverein das auch in Zukunft tun kann, braucht es weiter Menschen, die wie Udo Wiegard Verantwortung übernehmen, als Oberst oder auf einem anderen Vorstandsposten. Er hoffe, dass er seinen Posten in absehbarer Zeit abgeben könne – guten Gewissens, „weil ich weiß, dass das dann einer macht, der seine Aufgabe mit genauso viel Freude erfüllt, wie ich das jahrelang getan habe“.

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