Missbrauchs-Skandal und Kirchenaustritt
Für Professor DDr. Karl Gabriel genügt der Trend zur Säkularisierung nicht als Grund für die massiven Austrittswellen aus der katholischen Kirche seit 2010. Die Säkularisierung als Grund für den Kirchenaustritt werde überlagert durch eine große Enttäuschung durch den Missbrauch von Klerikern und dem internen Umgang damit. Angesichts der rigiden Sexualmoral sei die Fallhöhe besonders hoch und die emotionalen Reaktionen verständlich. Insbesondere unter Katholiken sei der Grund für den Kirchenaustritt weniger eine schleichende Entfremdung und Gleichgültigkeit als vielmehr Wut und Zorn über den Missbrauch. Mehrheitlich erwartet wird, so lässt sich der KMU 6 entnehmen, ein Schuldbekenntnis der Kirche und glaubwürdige Schritt der Reform, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Professor Gabriel warnte davor, die Schuld nur auf die Kirchenleitungen abzuschieben. Moralisches Versagen habe es auf allen Ebenen gegeben. Die KMU 6 zeige ferner, welch große Bedeutung für die Glaubwürdigkeit das Seelsorgepersonal der Gemeinde vor Ort habe. Nicht nur auf der Ebene der Weltkirche, sondern auch auf Ebene der Diözesen sei eine Dezentralisierung notwendig.
Ökumenische Sozialkirche
Das wichtigste Potential für die Rückgewinnung des Vertrauens liege nach der KMU 6 im Feld des Sozialen. Großer Konsens in der Gesellschaft bestehe, so Professor DDr. Karl Gabriel, dass evangelische und katholische Kirche enger zusammenarbeiten sollen und sich im sozialen Feld engagieren. Mehrheitlich abgelehnt werde die These, dass die Kirchen ihr eigenes Profil betonen und sich auf religiöse Fragen beschränken. Religion und Soziales sollten in ihrem engen Zusammenhang wahrgenommen werden; eine Konzentration auf den Markenkern des Religiösen sei kein Ausweg, unterstrich Professor Gabriel ausgehend von der KMU 6. Den Kern des christlichen Glaubens mache aus, dass es ein Religiöses ohne Beglaubigung durch das Soziale nicht gibt. „Beide Konfessionen in Deutschland haben zum Beispiel ihren historisch nachweisbaren Beitrag zur sozialstaatlichen Entwicklung als soziales und religiöses Engagement zugleich betrachtet. Diese Tradition sollten die Kirchen heute bewusst fortsetzen, wenn sich in den kommenden Jahren die Kämpfe um die sozialen Sicherungssysteme wieder zuspitzen.“
Keine fatalistische Zukunft
Für Professor DDr. Gabriel zeigen sich gegenwärtig an vielen Stellen Prozesse, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Die enttäuschten Ausgetretenen werden vermutlich nicht zurückkehren und die Kirche nicht mehr in erster Linie eine Mitgliederkirche, sondern eine stellvertretende Kirche sein. Es gebe aber Handlungsspielräume jenseits fatalistischer Zukunftsaussichten.
Solche Orte, wo Glauben wächst, zeigte Dr. Christian Hennecke, Leiter des Bereichs Sendung im Bistum Hildesheim, in seinem Vortrag „Hinter dem Horizont. Konturen hoffnungsreicher Transformation“ auf. Die Ergebnisse der KMU 6 hätten ihn nicht überrascht, so der Priester des Bistums Hildesheim. Wichtig sei es, jenseits des Selbsterhalts der bisherigen Strukturen, wahrzunehmen, wo Glauben wächst. Dazu gehöre, die traditionellen Bilder von Kirche zu überprüfen. Es brauche eine Neuorientierung der Pastoral als Sendung nach außen. Der persönliche Kontakt zu den Menschen und das soziale Engagement hätten dabei eine große Bedeutung. Statt weiterhin dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung anzuhängen, müsste die Kirche Räume von Gemeinschaftserfahrungen ermöglichen, in denen der persönliche Glaube wachsen könne. Als Institution müsse die Kirche Menschen in einer pluralen und bunten Wirklichkeit stärken und fördern.
Ermöglichungsstrukturen
Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz dankte zum Abschluss der Tagung den Vortragenden für ihre anregenden Ausführungen und den Mitgliedern des Arbeitskreises für die engagierte Beteiligung. Die Beiträge seien wichtige Impulse für die zukünftigen Prozesse im Erzbistum. Zentral sei das Stichwort der „Ermöglichungsstrukturen“. Damit hoffnungsvolle Aufbrüche des Wachstums möglich werden, brauche es eben auch beständige Strukturen.
Sozialwissenschaftlicher Arbeitskreis
Der interdisziplinäre Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis des Sozialinstituts Kommende Dortmund berät die Leitung des Erzbistums Paderborn in aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Ihm gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Theologie, Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Recht an. Sie kommen zweimal jährlich mit dem Erzbischof von Paderborn zusammen.
Text: Detlef Herbers, Kommende Dortmund