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Erzbistum Paderborn
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Eine Spiritualität des Alltags

Geistliches Wort von Msgr. Dr. Menke-Peitzmeyer zu Karl Rahners 120. Geburtstag und 40. Todestag - ausgestrahlt im WDR 5 Radioprogramm

120 Jahre alt wäre er in diesem Jahr geworden: der große Theologe, Jesuit und Priester Karl Rahner. Bis heute hat die katholische Theologie und auch die Kirche diesem Mann sehr viel zu verdanken. Kein Wunder, dass bereits vor 20 Jahren eine deutsche Tageszeitung nicht ganz ohne Ironie titelte: „Es rahnert allerorten!“ Denn damals – zu seinem 100. Geburtstag – erinnerten zahlreiche Vorträge, Tagungen und Akademien hierzulande an Karl Rahner und sein theologisches Werk. Vor 40 Jahren starb er, am 30. März 1984. Ich selbst habe ihn leider nicht mehr als Professor der Theologie erlebt, aber er hat mein theologisches Denken ebenso geprägt wie sein Orden: die Jesuiten. Und noch heute, wenn ich für die Ausbildung von Priestern im Erzbistum Paderborn zuständig bin, sind mir seine Gedanken wichtige Wegweiser. Seine ebenso umfangreichen wie anspruchsvollen Texte sind zwar nicht jedermanns Sache; aber es lohnt sich, ihnen nachzugehen. Genau das will ich jetzt versuchen. Guten Morgen!

Wer war Karl Rahner?

Am 5. März 1904 wurde er in Freiburg im Breisgau geboren. Nach dem Abitur trat er im österreichischen Vorarlberg in den Jesuitenorden ein. Rahner wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Professor für Dogmatik in Innsbruck und erhielt schon bald den renommierten Lehrstuhl eines theologischen Granden in München: Romano Guardini. Der hatte sich als Kulturphilosoph, Anthropologe und vor allem in der Veränderung der Gottesdienstgestaltung einen Namen gemacht. In dessen Fußstapfen zu treten war eine Auszeichnung. Dennoch blieb Rahner nicht
lange in München, sondern wechselte nach Münster. Schließlich spielte er als Theologe eine bedeutende Rolle auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und beriet Bischöfe und in den Siebziger Jahren sogar die Deutsche Synode. Rahner war zeitlebens ein Mann des offenen und kritischen Wortes in der Kirche. Und er fand damit Resonanz weit über den Raum der Kirche hinaus.

In einem Interview sagte „Pater Rahner“, wie er sich schlicht nannte:

Ich habe immer Theologie betrieben, um der Verkündigung, um der Predigt, um der Seelsorge willen.1

Theologie also nicht nur für Insider oder Experten – ganz im Gegenteil: Die konkreten Fragen der Menschen und die Nöte seiner Zeit waren ihm wichtig. Bodenständig wie er war, verlor er nie den einfachen Menschen aus dem Blick. Und vor allem die fragenden und suchenden Zeitgenossen. Abgehobene, alltagsfremde Theologie im elfenbeinernen Turm lag ihm fern. Deshalb beschäftigte er sich nicht nur mit komplexen theologischen Fragen, sondern auch mit dem, was ich die „Spiritualität des Alltags“ nennen möchte. Rahner war überzeugt, dass sich christlicher Glaube in der Normalität und Banalität des Alltags bewährt. Das beginnt für ihn bei der alles entscheidenden Frage nach Gott. Er sagte von sich selbst:

Ich möchte ein Theologe sein, der sagt, dass Gott das Wichtigste ist; dass wir dazu da sind, in einer uns vergessenden Weise ihn zu lieben, ihn anzubeten, für ihn da zu sein.2

Das kann Rahner jedoch nur dann in die Tat umsetzen, wenn er konkret im Alltag der Menschen ansetzt und ihnen eine plausible Antwort auf die Frage gibt: Welchen „Mehrwert“ hat es, an Gott zu glauben und ihn ins eigene Leben hineinzulassen? Für ihn beginnt das mit der Sehnsucht, Gott im Auf und Ab des Alltags wirklich und wirksam zu erfahren.

Welchen „Mehrwert“ hat es, an Gott zu glauben und ihn ins eigene Leben hineinzulassen?

Wie kann ich meinen Alltag aus der Kraft des Glaubens gestalten? Woher die Energie nehmen, mich dem zermürbenden Alltag immer wieder neu zu stellen?

 

Karl Rahner erkannte, dass das Christentum eine reiche, erfahrungsbasierte spirituelle Tradition bietet, die den Alltag strukturiert und ihm gleichzeitig Tiefe verleiht. Für ihn bildeten daher das Morgen- und das Abendgebet die beiden Angelpunkte eines jeden Tages. Für den Frühaufsteher und Morgenmensch Rahner gehörten die Schriftmeditation am Morgen und der anschließende Gottesdienst zum unverzichtbaren geistlichen Tagesproviant. Wie wichtig ihm das war, erahne ich, wenn ich in seinen zahlreichen Meditationen, Gebeten und Predigten lese, die er veröffentlichte: Da sind alltagstaugliche Theologie und Frömmigkeit vereint, geprägt im Geiste des heiligen Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens. Dessen Devise im 16. Jahrhundert lautete: Suche und finde Gott in allen Dingen. Für Karl Rahner hieß das: In Gottes Namen beginnt jeder neue Tag; und daher sollte man ihn bewusst begrüßen und gestalten. So sagte er einmal:

[Der neue Tag] ist eine Gelegenheit, in geduldiger Treue seine Pflicht zu tun, eine Gelegenheit, die Gott uns schenkt als Acker der Zeit, auf dem unter Mühsal die Frucht der Ewigkeit reifen soll. Sagen wir tapfer, ja fröhlich und zuversichtlich: in Gottes Namen. Im Namen des starken Gottes, der die stille Kraft der Schwachen ist. Im Namen des heiligen Gottes, der die kleinen Dinge alltäglicher Pflicht so mit seinem heiligen Geist durchleuchten und begnadigen kann, dass sie große Dinge heiliger Ewigkeit werden.3

Wer seinen Tag so von Gott empfängt – ohne zu wissen, was er bringen wird –, kann ihn bewusst und verantwortungsvoll gestalten, um ihn abends wieder in Gottes Hand zurückzulegen: mit allem, was er oder sie getan und erlebt hat.

Damit verbindet sich für Rahner die Gewissheit: Jeder Tag ist einmalig. Da alles von Gott kommt, ist auch jeder Tag, jede Stunde, jede Minute, ja jeder Augenblick einzigartig und wertvoll. So wertvoll, dass man ihn nicht gedankenlos an sich vorbeiziehen lassen, sondern gestalten sollte. Und so lädt Rahner dazu ein:

So lasst uns … diesem einmaligen Tag seinen göttlichen Inhalt geben: Liebe, Friede, Geduld, Treue, Tapferkeit und fröhliche Zuversicht. Wenn dies geschieht, wird der heutige Tag ein voller Tag, ein wirklich einmaliger, unvertretbarer Tag. Und das flüchtige Geschenk verrinnender Zeit reift zu einer Frucht der Ewigkeit.4

© Sunny Forest / Shutterstock.com
© Sunny Forest / Shutterstock.com

Für mich heißt das: Auch wenn jeder neue Tag auf dem vorherigen aufbaut und ich nicht stets bei Null beginne, auch wenn es versäumte Gelegenheiten gibt, die ein für alle Mal verloren scheinen, so darf ich darauf vertrauen: An jedem neuen Tag liegt das Leben wieder frisch und unberührt vor mir; nichts ist wirklich vertan oder verloren. Rahner glaubt unbeirrbar an die Chancen, die jeder neue Tag mit sich bringt und ist fest davon überzeugt:

Der neue Anfang mag noch so lächerlich, klein und kümmerlich erscheinen: ein wenig mehr Fröhlichkeit, ein wenig mehr Aufmerksamkeit für die anderen und ihre Schmerzen, ein wenig mehr Geduld und Verständnis. Aber der kleine gute Wille zu solchen Dingen, ein solcher Aufbruch, ein solcher Neuanfang kann der Beginn eines neuen Lebens sein.5

Es sind die kleinen Schritte, die Karl Rahner empfiehlt, um jeden Tag neu zu bestehen. Und auch wenn mich meine Erfahrung lehrt: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben – denn wer weiß, wie sich der Tag bis zum Abend entwickelt – ist für Rahner dieses Sprichwort längst nicht der Weisheit letzter Schluss. Er schlägt vor, bewusst auch mal den Tag vor dem Abend zu loben: nämlich im morgendlichen Gebet mit einem Lob des Vertrauens und der Zuversicht. Das hört sich dann so an:

Sei gelobt, Stückchen Zeit, das kommt, um nicht anders unterzugehen, wenn es Abend ist, als in der Ewigkeit Gottes… Sei herzlich willkommen, du kleiner armer Tag; ich werde dich zu einem kleinen Kunstwerk machen, zu einem seligen ernsten Spiel des Lebens, worin alles mitspielt: Gott, die Welt und mein Herz.6

Mir hilft dieser Gedanke, so auf den neuen Tag zuzugehen: Jede einzelne Stunde des Tages kann ich ganz bewusst aus der Hand Gottes annehmen; denn in jedem einzelnen Augenblick steckt ein Stück Ewigkeit und damit etwas von Gott. Und Rahner formuliert das so in einem kleinen Gebet:

O Gott, gib uns in deiner Gnade Licht und Kraft, den Tag, den Augenblick zu erkennen und zu bestehen, so wie Du ihn als Deine Gabe, als Deine Gnade und als unsere Aufgabe uns immer wieder gibst, damit aus dieser Zeit, der rechten Zeit des Heiles, werde: Deine Ewigkeit.7

© fizkes / Shutterstock.com
© fizkes / Shutterstock.com

Die Ewigkeit in der Zeit erfahren – das ist einer der zentralen Gedanken Karl Rahners. Oder anders formuliert: Es geht darum, Gott im Hier und Jetzt zu erfahren. Und das schließt noch einen weiteren Gedanken mit ein: Wer darum bemüht ist, seinen Alltag bewusst aus der Kraft des Glaubens zu gestalten und dabei die Treue im Kleinen schätzt, der gewinnt auch ein anderes Verhältnis zur Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Rahner ist überzeugt:

Die Zeit eilt Gott und seiner Ewigkeit entgegen, nicht der Vergangenheit und dem Untergang.8

Rahner denkt bei allem Wissen um die Geschichte der Theologie und des Christentums nach vorne. Denn: Das Beste kommt erst noch! Wer mit dieser Gewissheit unterwegs ist, findet Halt und Orientierung, wenn er seinen Alltag mit seinen vielfältigen Herausforderungen gestaltet. Gegen den Verdacht, ein solcher Gedanke sei zu abgehoben, betont Rahner: Gott ist zwar namenlos und unbegreiflich, er ist und bleibt ein „unfassbares Geheimnis“, aber er ist unter uns Menschen sichtbar und erfahrbar geworden; und er hat sich in der Geschichte durch sein eigenes Handeln und Sprechen einen Namen gegeben: Jesus von Nazareth. Dieser Name sagt, wie Gott dem Menschen ein Gegenüber sein will, nämlich so:

Der nahe, der liebende, der helfende, der bis zum Ende getreue [Gott, Erg. MP]. In und an Jesus wissen wir, was wir an Gott haben.9

Daraus spricht für mich ein ungeheurer Optimismus! Gott ist an der Seite des Menschen – immer schon. „Immer schon“ ist übrigens eines der Lieblingsworte Rahners. Um sich an diese bleibende, verlässliche Nähe zu erinnern, empfiehlt Karl Rahner:

Zeichne dir immer wieder das Kreuz dieses Jesus „auf Stirn, Geist und Herz“10 und sprich dabei (Ps 121,2): „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn.“

Dieser Vers aus dem Buch der Psalmen schenkt mir jedenfalls Zuversicht und Vertrauen in die Wirkmacht Jesu.

Für Karl Rahner war der Name „Jesus“ schließlich mehr als nur ein gewöhnlicher Eigenname. Immerhin, der Name allein bedeutet – aus dem Hebräischen übertragen – bereits: „Der Herr ist Rettung“. Aber für Rahner stand er über seinem Leben und seiner Berufung als Christ. Als junger Mann trat er nämlich in einen Orden ein, der sich bewusst auf den Namen Jesus beruft: den Orden der Jesuiten, anders bekannt als die so genannte „Gesellschaft Jesu“. Zeitlebens war Rahner dankbar für diese Berufung und blieb ihr trotz so mancher Zweifel und Zerreißprobe treu. Denn er hatte persönlich etwas erfahren, was er einmal so formuliert hat:

In und an Jesus wissen wir, was wir an Gott haben. Anders nicht.11

Der Schlüssel zu seiner Gotteserfahrung war für ihn immer die Person Jesu. Deshalb war für ihn ein Weg als Ordensmann in der „Gesellschaft Jesu“ naheliegend. reizvoll und spannend zugleich. Hier eröffneten sich ihm vielfältige Möglichkeiten, vielen Menschen zu begegnen, ob als Professor, als Prediger oder Seelsorger. Dabei behielt er seine gläubige Bodenhaftung. Als leidenschaftlicher Genießer von Eiscreme zitierte er einmal – ich vermute mit einem Augenzwinkern – einen jesuitischen Aszeten:

Die guten Dinge sind nicht nur für die Spitzbuben da.12

Karl Rahner hatte Ehrfurcht vor dem Geheimnis eines jeden einzelnen Menschen: vor seiner unverwechselbaren Geschichte mit allen Fragen, Zweifeln, Sorgen, Nöten, Brüchen; Hoffnungen und Sehnsüchten. Und so ist er auch heute ein Orientierungspunkt: für mich und viele andere, die von ihm gelernt haben: Wenn der Name Jesu über unserem Leben steht, werden selbst die dunkelsten Stunden des Lebens zu Zeiten des Herrn und seines Heiles.

Diese ermutigende und tröstende Gewissheit, die wie ein roter Faden das Leben durchziehen kann, wünscht Ihnen aus Paderborn

Ihr
Michael Menke-Peitzmeyer

Fußnoten

1 – Zitiert nach: https://andreas-batlogg.de/wp-content/uploads/2024/03/FUCH_WIEN_13_28-03-2024_X_Batlogg-Rahner.pdf

2 – Zitiert nach: https://www.katholisch.at/aktuelles/147804/jesuit-batlogg-frage-nach-gott-war-fuer-karl-rahner-zentral

3 – Karl Rahner, Von der Kraft, täglich neu zu beginnen (hrsg. von Andreas R. Battlog / Peter Suchla), Ostfildern 2. Auflage 2024 S. 25f.

4 – Karl Rahner, a.a.O., S. 31f.

5 – Karl Rahner, a.a.O., S. 35f.

6 – Karl Rahner, a.a.O., S. 39

7 – Karl Rahner, a.a.O., S.44

8 – Karl Rahner, a.a.O., S. 46

9 – Karl Rahner, a.a.O., S. 47f.

10 – Karl Rahner, a.a.O., S. 48f.

11 – Karl Rahner, a.a.O., S. 48

12 – Karl Rahner zitiert nach: Karl Rahner. Bilder eines Lebens, hrsg. von Paul Imhof und Hubert Biallowons, Zürich 1985, S. 130

 

 

Ein Beitrag von:
© Besim Mazhiqi / Erzbistum Paderborn
Regens

Msgr. Dr. Michael Menke-Peitzmeyer

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