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„Ich höre erstaunlich wenig Kritisches“

Stefan Kaiser vom Katholischen Forum Dortmund erzählt, wie er den Vertrauensverlust der Kirche erlebt

Die katholische Kirche in Deutschland ist in einer Vertrauenskrise – das dokumentieren vor allem die konstant hohen Austrittszahlen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft dürfte aber das als unglaubwürdig erlebte Agieren der Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals der entscheidende Anlass für einen Austritt sein. Wie wirkt sich diese Vertrauenskrise auf die Arbeit der Kirche vor Ort aus? Wir haben drei hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, was sie erleben und hören – alle drei arbeiten an Schnittstellen zwischen Kirche und nicht-kirchlichen Einrichtungen.

Wir beginnen mit Stefan Kaiser, Gemeindereferent und Seelsorger am Katholischen Forum in Dortmund. An den kommenden beiden Tagen folgen Julia Winterboer, Referentin für Bildung, Soziales und Kultur an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Bielefeld und Johannes Brüseke, Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe.

“Die Menschen können unterscheiden”

Stefan Kaiser, Gemeindereferent und Seelsorger am Katholischen Forum Dortmund, ist viel in der Stadt unterwegs und kommt mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Etwa wenn er sie mit der Fahrrad-Rikscha kostenlos zu ihrem angestrebten Ziel fährt. Oder wenn er auf der mobilen Kirchenbank sitzt, die das Team der Dortmunder Citypastoral regelmäßig in die Fußgängerzone rollt. Und natürlich bei der Obdachlosenhilfe.

Was sagen all diese Menschen, wenn sie hören, dass er bei der katholischen Kirche arbeitet? „Ich höre erstaunlich wenig Kritisches“, stellt Stefan Kaiser fest. „Ich erlebe stattdessen viel Dankbarkeit dafür, dass Kirche ihre Dienste anbietet. Die Obdachlosen interessieren sich wirklich überhaupt nicht für die ganzen Konflikte, die es in und um die Kirche gerade gibt.“

Generell könnten die Menschen gut zwischen einem einzelnen pastoralen Mitarbeiter wie ihm und der Gesamtkirche mit ihren Problemen unterscheiden. „Sie sehen in erster Linie einen Menschen, der sich für sie interessiert. Und wenn ich zum Beispiel junge Leute in der Rikscha fahre, dann haben sie auch viele Ideen, für wen die Kirche da sein sollte: für Senioren zum Beispiel oder für Einsame.“

Manchmal holt ihn die innerkirchliche Krise trotzdem ein. Zum Beispiel an jenem Tag, an dem er einen Menschen zum Bahnhof fuhr, der sich als Missbrauchsopfer zu erkennen gab. „Es hat mich sehr mitgenommen, was er erzählt hat“, erinnert sich Stefan Kaiser. „Ich habe mich entschuldigt und versucht, die Bereitschaft der Kirche widerzuspiegeln, alles zu tun, um sich zu ändern.“

Im kirchlichen “inner circle” geht es viel um die Krise

Sobald es in den kirchlichen „inner circle“ geht, sind sie ebenfalls da, die Themen, die derzeit so viele Hauptberufliche und Ehrenamtliche umtreiben: Macht in der Kirche, der Umgang mit dem Missbrauchsskandal. „Eigentlich treffen wir uns, um Projekte zu planen. Aber ein Großteil der Zeit geht inzwischen für Diskussionen um die kirchliche Krise drauf“. Auch in den Gesprächen nach dem Forum Gottesdienst am Samstagabend stehe dies im Zentrum.

Stefan Kaiser stellt klar: „Natürlich verkörpere ich Kirche und bin Teil eines Systems, das viel aufzuarbeiten hat.“ Aber wenn er als Seelsorger in der Stadt unterwegs sei, wolle er sich davon frei machen. „Was der Papst oder der Vatikan sagt, hat keinen Einfluss auf das, was ich in der Rikscha, auf der mobilen Kirchenbank oder der Obdachlosenhilfe mache: Die Menschen zu fragen, was sie brauchen. ‚Was willst du, dass ich dir tue?‘ So hat Jesus es formuliert.“

Die Menschen zu fragen, was sie brauchen, ist für Stefan Kaiser entscheidend, wenn es darum geht, Vertrauen zu gewinnen. „Viele Projekte scheitern daran, dass man zwar etwas für die Menschen machen möchte, aber mit der Zielgruppe, für die dieses Projekt sein soll, gar nicht spricht. Wenn man zusammen mit der Zielgruppe ein Projekt entwickelt, das sich tatsächlich an deren Bedürfnissen orientiert, dann entdecken wir Wachstumsorte“, ist er sich sicher.

Und auch davon ist er überzeugt: „Wir müssen mehr auf den Geist vertrauen. Er ist es, der dem System Kirche Erneuerung bringen kann. Wir müssen mehr Mut haben, danach zu schauen, wo er weht und wo es Geist-Orte gibt. Dann entwickeln wir eine Vision, die uns verändert.“

Julia Winterboer, Referentin für Bildung, Soziales und Kultur an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Bielefeld

Julia Winterboer bekommt gut mit, was Studentinnen und Studenten mit Blick auf die Kirche bewegt. „Ich erlebe, dass die Studierenden sehr wohl wahrnehmen, was in der Kirche passiert“, stellt sie fest. „Es gibt unter ihnen ganz verschiedene Haltungen zu den aktuellen Themen.“ Natürlich zähle zu diesen Themen der Missbrauchsskandal oder das, was gerade im Erzbistum Köln geschehe. „Persönlich betroffen sind die Studierenden aber eher von jenen Themen, die sie direkt angehen – dass Frauen nicht gleichberechtigt sind oder die katholische Sexualmoral, die viele als lebensfremd wahrnehmen”

Johannes Brüseke, Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe

Johannes Brüseke arbeitet seit bald neun Jahren als Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe, einem kommunalen Krankenhaus mit Standorten in Detmold und Lemgo. Zu seinem Arbeitsalltag gehören Besuche bei Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen. „Die Menschen nehmen mich als kirchlichen Seelsorger wahr“, sagt er. „Ich vermute aber, dass die meisten nicht wissen, dass ich der katholischen Kirche angehöre. Diese Unterscheidung ist vielen inzwischen unbekannt oder einfach nicht wichtig.“

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