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“Ich mache aus meinen Gefühlen keinen Hehl”

Die katholische Kirche in Deutschland ist in einer Vertrauenskrise – das dokumentieren vor allem die konstant hohen Austrittszahlen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft dürfte aber das als unglaubwürdig erlebte Agieren der Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals der entscheidende Anlass für einen Austritt sein. Wie wirkt sich diese Vertrauenskrise auf die Arbeit der Kirche vor Ort aus? Wir haben drei hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, was sie erleben und hören – alle drei arbeiten an Schnittstellen zwischen Kirche und nicht-kirchlichen Einrichtungen.

Im nachfolgenden Beitrag kommt Johannes Brüseke, Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe zu Wort. Wir haben auch mit Stefan Kaiser gesprochen, Gemeindereferent und Seelsorger am Katholischen Forum in Dortmund sowie mit Julia Winterboer von der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Bielefeld.

“Ich werde nur selten auf  den Missbrauchsskandal angesprochen”

Johannes Brüseke arbeitet seit bald neun Jahren als Krankenhausseelsorger am Klinikum Lippe, einem kommunalen Krankenhaus mit Standorten in Detmold und Lemgo. Zu seinem Arbeitsalltag gehören Besuche bei Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen. „Die Menschen nehmen mich als kirchlichen Seelsorger wahr“, sagt er. „Ich vermute aber, dass die meisten nicht wissen, dass ich der katholischen Kirche angehöre. Diese Unterscheidung ist vielen inzwischen unbekannt oder einfach nicht wichtig.“

Bisher sei er nur selten auf den Missbrauchsskandal oder andere umstrittene Themen angesprochen worden, weder von Mitarbeitenden des Klinikums noch von Patientinnen und Patienten. „Ich nehme trotzdem wahr, wie sehr das große Engagement von so vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche an Glaubwürdigkeit verliert“, sagt er. „Dass der Missbrauchsskandal die Sicht auf die Kirche bestimmt und alles andere überstrahlt, erzeugt in mir ein tiefes Unbehagen.“ Eine möglichst schnelle und gründliche Aufarbeitung sei deshalb dringend nötig.

Er mache aus seinen Gefühlen keinen Hehl, wenn er doch einmal auf den Skandal angesprochen werde: „Da sind Abscheu, Traurigkeit und auch Scham für meine Kirche. Als Vater von drei Töchtern bin ich fassungslos und voller Ärger. Ich frage mich, wie Menschen, die behaupten, in der Nachfolge Jesu zu stehen, so handeln und ihre besondere Glaub- und Vertrauenswürdigkeit so missbrauchen konnten.“ Im Gespräch mit Menschen sei es wichtig, dies nicht zu übergehen. „Andere sind schuldig geworden und haben kriminelle Taten begangen. Als Mitarbeiter dieser Kirche trage ich insofern Mitverantwortung, dass ich das deutlich benenne und nicht kleinrede.“

Jeder Mensch ist Kind Gottes – eine vertrauensstiftende Botschaft

Die aktuelle Situation der Kirche erlebe er als bedrückend. „Einerseits finde ich in meiner Arbeit tiefen Sinn und ein tiefes Getragen-Werden im Glauben. Ich sehe auch welche Schätze wir als Kirche haben. Andererseits wird die Verbundenheit, die man als Mitarbeiter zur Kirche hat, in der Öffentlichkeit immer weniger verstanden.“ Das sei traurig, frustrierend und mache müde. In dieser Situation erlebe er es als befreiend, dass er im Krankenhaus von der Sorge um die Institution Kirche befreit sei und sich um das Wohl anderer kümmere.

Dass jeder Mensch von seinem ersten mit zu seinem letzten Atemzug Kind Gottes ist – diese Botschaft des Evangeliums trägt Johannes Brüseke bei jedem Patientenbesuch im Herzen. Sie ist seiner Überzeugung nach auch eine Möglichkeit für die Kirche, Vertrauen zurückzugewinnen. „Es gibt in diesem Zentrum des Glaubens keine Leistung, keine Reihenfolge, keine Hierarchie“, meint er. „Das kann man nur ernstnehmen, wenn man wertschätzend, geschwisterlich, hierarchiearm, weiblich und männlich zugleich Kirche ist.“

Im konsequenten Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung sieht Johannes Brüseke ebenfalls einen Weg für die Kirche zu mehr Vertrauen. „Es wird klarer und klarer, dass uns unsere Lebensweise immer tiefer in die Krise führt. Es ist dringend notwendig, nachhaltiger, konsumärmer und schöpfungsfreundlicher zu leben. Daran erinnert uns Papst Franziskus immer wieder. Es wäre so wichtig, dass wir als Kirche bereit sind, uns einzubringen – mit dem Hoffnungshorizont der Kraft Jesu! Es wäre so notwendig, dass wir uns nicht um uns, sondern um das Wohl anderer kümmern! Darin liegt Reich Gottes und eine neue Glaubwürdigkeit von Kirche.“

Weitere Statements zum Thema “Vertrauensverlust der Kirche”

Stefan Kaiser, Gemeindereferent und Seelsorger am Katholischen Forum Dortmund

Stefan Kaiser ist viel in der Stadt unterwegs und kommt mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Etwa wenn er sie mit der Fahrrad-Rikscha kostenlos zu ihrem angestrebten Ziel fährt. Oder wenn er auf der mobilen Kirchenbank sitzt, die das Team der Dortmunder Citypastoral regelmäßig in die Fußgängerzone rollt. Und natürlich bei der Obdachlosenhilfe. Was sagen all diese Menschen, wenn sie hören, dass er bei der katholischen Kirche arbeitet? „Ich höre erstaunlich wenig Kritisches“, stellt Stefan Kaiser fest.

Julia Winterboer, Referentin für Bildung, Soziales und Kultur an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Bielefeld

Julia Winterboer bekommt gut mit, was Studentinnen und Studenten mit Blick auf die Kirche bewegt. „Ich erlebe, dass die Studierenden sehr wohl wahrnehmen, was in der Kirche passiert“, stellt sie fest. „Es gibt unter ihnen ganz verschiedene Haltungen zu den aktuellen Themen.“ Natürlich zähle zu diesen Themen der Missbrauchsskandal oder das, was gerade im Erzbistum Köln geschehe. „Persönlich betroffen sind die Studierenden aber eher von jenen Themen, die sie direkt angehen – dass Frauen nicht gleichberechtigt sind oder die katholische Sexualmoral, die viele als lebensfremd wahrnehmen”

Weitere Beiträge im Themenspecial "Zweifel und Vertrauen"

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