Der Engel schlägt mitten in Marias Alltag ein. Vor ihr liegt ein Weidenkorb mit einem Tuch darin, vielleicht eine Stickarbeit. Hinter der jungen Frau sind Tisch und Bücher angedeutet, die auf ihre religiöse Bildung hinweisen. Doch alles Irdische scheint bei dieser Verkündigung (Lk 1,26-38) keine Rolle zu spielen. Das verdeutlicht der Paderborner Maler Anton Joseph Stratmann (1734-1807), indem er eine aufsteigende Diagonale das Bild dominieren lässt: Die Blickachse zwischen Maria und dem Engel, die in dem ausgestreckten Arm Gabriels ihre Verlängerung findet. Die Komposition lenkt den Blick der betrachtenden Person unweigerlich nach oben, auf den durch die Taube symbolisierten Heiligen Geist.
Maria ist hier im Stile der Immaculata (dt.: Unbefleckte) dargestellt. Nach einer Vision der heiligen Beatriz da Silva wird Maria als Immaculata in einer weißen Tunika und blauem Mantel dargestellt. Das Weiß steht für Reinheit und Unschuld, das Blau ist dem Himmel und Maria zugeordnet. Eine Besonderheit ist, dass die Maria Immaculata zumeist ohne Jesusknaben auftritt. Für Stratmanns Verkündigung ist das nur logisch, da sie den Gottessohn ja noch nicht geboren hat – für Mariendarstellungen allgemein bis dato aber durchaus ungewöhnlich. In der Zeit des Barock findet dieser neue Typus weite Verbreitung und etabliert sich nicht zuletzt in den künstlerischen Darstellungen der Marienerscheinungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vollends.