Den Tieren bleibt in vielen Ställen nicht viel Platz für Bewegung. Schweine vermeiden es eigentlich ihren Futterplatz als „Toilette“ zu nutzen – dies ist in solchen Ställen nicht möglich. Im Kastenstand können sich die Tiere dann gar nicht mehr Bewegen und verweilen an einer Stelle.

Möchte Gott, dass alle Menschen vegetarisch leben?

Fleisch und tierische Produkte gelten als klimaschädliche Lebensmittel. Um sie herzustellen, werden deutlich mehr Treibhausgase emittiert als zum Beispiel bei Gemüse. Der Einsatz gegen den Klimawandel fängt also bei der eigenen Ernährung an. Wäre es also am besten, wenn sich alle Menschen vegetarisch oder vegan ernähren würden? Und was denkt wohl Gott darüber? Mit diesen Fragen sind wir auf zwei junge Menschen zugegangen, die darüber ganz unterschiedlich denken.
Lisa-Marie Kaiser war zum Zeitpunkt des Interviews Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund am Lehrstuhl für Systematische Theologie. Ihr Lieblingsthema: Tiertheologie. Sie lebt vegetarisch.
Im Interview trifft sie auf Katrin Schuchardt, die Waldwirtschaft und Umwelt in Freiburg studiert. Sie isst Fleisch. Gebürtig kommt sie aus Nörde, wo sie ehrenamtlich bei der Katholischen Landjugendbewegung aktiv ist. Sie ist auf einem Bauernhof mit Milchviehzucht aufgewachsen und macht gerade einen Jagdschein.
Wie geht es euch?
Ich bin gerade gestresst. Ich schreibe übermorgen eine Klausur, auf die ich noch nicht so gut vorbereitet bin.
Ich bin gerade gar nicht gestresst, weil ich nächste Woche Dienstag den letzten Tag an der Uni haben werde, und danach ab Mai ins Referendariat gehe.

„In meinen Augen geht es darum, Leben zu fördern und Leben zu schützen, wo es möglich ist.“
Lisa-Marie Kaiser
Was gibt oder gab es heute zu essen?
Ein asiatisches Gericht mit Erdnuss-Tofu. Eigentlich bin ich kein Tofu-Fan, aber es war ziemlich lecker.
Ich hatte auch ein veganes Mittagessen: ein Reis-Curry mit Kichererbsen. War lecker.
Wir möchten über die Frage sprechen: Möchte Gott, dass wir alle vegetarisch leben? Vorab stelle ich die Frage allgemeiner: Wie möchte Gott, dass wir leben?
Ich glaube: Er möchte, dass wir verantwortungsvoll mit der Schöpfung und gut mit unserer Freiheit umgehen.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Nutztieren auch gut gehen kann und sie ein wertvolles Leben haben.“
Katrin Schuchardt
In meinen Augen geht es geht darum, Leben zu fördern und Leben zu schützen, wo es möglich ist.
Warum ist das so?
Für mich ist ein Kompass, dass wir Gott im christlichen Glauben als den lebendigen Gott bezeichnen. Gott liebt das Leben. Er schafft das Leben und schafft es immer wieder neu. Stichwort: Auferstehung. Überall, wo Leben und Lebendigkeit bedroht sind, sehe ich Christinnen und Christen in der Verantwortung, sich dagegen einzusetzen.
Wo seht ihr Leben und Lebendigkeit bedroht?
In der klassischen industriellen Massentierhaltung. Tiere sterben. Ihre Lebendigkeit wird begrenzt. Aber es fängt schon damit an, dass Tiere nur einen bestimmten, oft sehr begrenzten Raum haben, in dem sie sich bewegen können. Sie können ihre Bedürfnisse nicht ausleben. Eigentlich leben sie nicht, sie vegetieren so vor sich hin.

Das gilt aber nicht für alle Höfe mit Nutztierhaltung, sondern nur für tierunwürdige Haltungsformen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Nutztieren auch gut gehen kann und sie ein wertvolles Leben haben.
Woran machst du das fest?
Viele Landwirte pflegen und hegen ihre Tiere mit viel Aufmerksamkeit und Liebe. Das ist auch ganz logisch. Eine Kuh gibt mehr Milch, wenn es ihr gut geht. Deswegen versucht man sicherzustellen, dass es dem Tier gut geht. Das sehe ich zum Beispiel auch, wenn wir die Boxen für Kälber neu eingestreut haben und die Jungtiere darin rumspringen und einfach Spaß haben. Das sind Momente, in denen ich Lebendigkeit spüre.

Den jungen Tieren geht es gut. In ihren mit Stroh ausgelegten Boxen springen sie umher und versprühen den Hauch von neuem Leben.
Was glaubt ihr: Möchte Gott, dass wir alle vegetarisch essen?
Die Frage setzt voraus, dass ich aus göttlicher Perspektive sprechen und Normen aufstellen könnte. Da werde ich misstrauisch, weil das historisch gesehen oft missbraucht wurde. Ich habe die Frage für mich umformuliert: Hat es für mich als Christin eine Bedeutung, dass wir Tiere töten und essen? Da würde ich sagen: Ja. Es ist nicht egal, ob wir Fleisch und tierische Produkte essen oder nicht. Ich würde nicht sagen, es ist besser kein Fleisch zu essen. Aber für Christinnen und Christen kann es in meinen Augen nicht gleichgültig sein.
Wo ist da der Unterschied?
Besser ist ein schlechter Ausdruck, weil er nach Wettbewerb klingt. Ich würde eher sagen: Tiere nicht zu töten und nicht zu essen kann ein prophetisches Zeichen sein.
Was meinst du damit?
Der christliche Glaube trägt für mich die Verheißung in sich, dass die Logik von Fressen und Gefressen werden nicht das letzte Wort haben muss. Wir hoffen auf ein Leben nach dem Tod, das heißt ein Leben, das eben nicht mehr dem Zwang des Todes unterliegt. Das können wir natürlich nicht selbst herstellen. Am Ende müssen wir immer Leben vernichten, um selbst leben zu können. Auch wenn es nur der Salat ist, den ich esse. Auf Fleisch zu verzichten kann also zeigen: Ich versuche, aus dieser Logik auszusteigen und Leid zu reduzieren. Ich glaube, dass es auch anders sein kann.
Ich glaube: Es kann nicht von Gott gewollt sein, unverhältnismäßig viel zu konsumieren. Also mega viel Fleisch zu essen. Aber es ist nicht das größte Problem. Wir bauen auch Gebäude dahin, wo eigentlich Natur ist. Wir zerstören mit all unserer Industrie, mit Autos und Chemikalien die Schöpfung. Erheben uns über alle anderen Lebewesen. Da passiert vieles nicht in einem verantwortungsvollen Rahmen.
Da sehe ich gerade Christinnen und Christen in der Pflicht, zu zeigen, dass es doch anders sein kann. Es ist für mich ganz grundlegend am Christentum, dass wir in einer Spannung leben: zwischen dem, wie es halt ist und der Verheißung, wie es sein soll. Dadurch können wir die Wirklichkeit in einem anderen Licht sehen. Als eine Welt mit Brüchen und auch unausgeschöpften Möglichkeiten. Deshalb sehe ich mich als Christin und Theologin in der Pflicht, zu fragen: Muss es so sein, wie es ist? Kann es nicht auch anders sein?
Katrin, Lisa-Marie hat das Stichwort prophetischer Auftrag genannt. Was kannst du damit anfangen?
Ich sehe einen prophetischen Auftrag darin, dass junge Menschen wieder mehr Wertschätzung für Lebensmittel verankern können. Dass ihnen die Arbeit, die dahintersteckt, bewusst wird. Dass sie Fleisch von Tieren essen, die ein lebenswertes Leben hatten. Gerade in der Fastenzeit können wir darauf achten, was wir essen und vielleicht entdecken, wo wir maßlos geworden sind. Ich kenne einige Leute, die scherzhaft sagen: „Ich faste Gemüse, das esse ich sowieso nicht“.

Zu einer ausgewogenen Ernährung gehören vor allem pflanzliche Lebensmittel. Insgesamt müssen Lebensmittel mehr wertgeschätzt werden und bewusster genossen werden.
Du hast das Stichwort lebenswertes Leben genannt. Hat eine Kuh bei euch auf dem Hof oder ein Schwein, was nach einem Dreivierteljahr zur Salami verarbeitet wird, ein lebenswertes Leben?
Wenn der Landwirt alles dafür tut, dass es dem Tier gut geht, dann denke ich schon, dass das ein lebenswertes Leben war. Auch wenn ein Schwein nur ein dreiviertel Jahr lebt.
Ich gebe Katrin Recht, dass es einen Unterschied macht, wie das Tier gehalten wird. Trotzdem steht am Ende, dass wir Tieren das Leben nehmen. Als wäre das selbstverständlich. Und das, obwohl wir wissen, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Dass die Grenze fließend ist. In Anbetracht dessen ist es ähnlich, wie wenn ich sagen würde: „Ein Kind mit acht Jahren hatte ein gutes Leben, also reicht es dann auch“. Da würde unsere Intuition mit Recht sagen: Das geht gar nicht.
Ist die Grenze zwischen Mensch und Tier denn fließend?
Biologisch und evolutionär gesehen gibt es keine zementierte Grenze zwischen Menschen und Tieren. Wissenschaftler suchen immer noch nach dem einen Merkmal, das den Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet. Kooperationsfähigkeit? Eine Art Vernunft? Eine Form von Sprache? Bei allen Versuchen gab es immer auch ein Tier, das das in gewissem Maße auch kann oder aber Menschen, die das eben nicht können. Der Übergang zwischen Menschen und Tieren ist also fließend – ohne, dass alles dasselbe ist.
Das ist jetzt eine ziemlich spitze Frage, aber wenn das wirklich für dich so ist: Schlägst du dann auch keine Mücken tot?
Tatsächlich versuche ich Mücken und Käfer rauszusetzen. Da, wo ich Leben schonen oder erhalten kann, möchte ich das machen. Aber da kommt man auch an Grenzen. Ich hatte schon eine Borreliose, weil ich eine Mücke nicht erschlagen habe. Für viele wirkt das wirklichkeitsfremd.
Ich finde: Dann bist du deiner Linie auch treu.
Katrin, sind für dich die Übergänge zwischen Mensch und Tier auch fließend?
Für mich gibt es schon einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und auch zwischen Nutztier und Haustier.
Geht ihr inspiriert aus unserem Gespräch heraus?
Lisa-Maries Meinung hat mich schon inspiriert. Ich kann ihre Denkweise nachvollziehen, aber nicht teilen. Vorher fand ich es manchmal albern, wenn Leute sagen, dass sie auf Fleisch verzichten, weil dafür ein Tier leiden musste. Dann kann man auch Fleisch von Tieren kaufen, die gut gehalten wurden.
Ich fand das Gespräch spannend. Katrin ist näher dran, was es bedeutet, Tiere zu halten. Trotzdem sind wir in grundlegenden Fragen anders unterwegs. Ich finde es auch nicht albern, wenn Menschen nicht möchten, dass Tiere für sie leiden müssen. Ich glaube: Wir haben lange vergessen, auf unsere Intuition und unser Gefühl zu vertrauen. Es sagt zum Beispiel viel aus, dass es Menschen nicht gut sehen können, wenn Tiere geschlachtet werden. Dass sie dann das Gefühl haben: Das ist nicht richtig und nicht gut.
Vielen Dank für das Gespräch.