Am 123. Unabhängigkeitstag der Philippinen, an dem der Befreiung von der Herrschaft Spaniens am 12. Juni 1898 gedacht wird, schaut Lucia Alcover in den Himmel über Cebu-City. Es ist keine einzige Wolke zu sehen. Es ist ein Feiertag, und Lucia kann sich von ihrer anstrengenden Arbeit als Barangay-Kagawad – der philippinischen Bezeichnung eine Gemeinderätin – erholen und sich zu Hause mit ihren Enkelkindern entspannen. Um Punkt 17 Uhr schreckt sie ein lauter Ruf auf. Eine Freundin ruft ihr vom Tor aus zu, sie solle sich beeilen: Der Mananga-Fluss ist wieder über die Ufer getreten.
Als Mitlgied des „Mananga River Council“ weiß Lucia, dass der Fluss, der durch acht Stadtbezirke fließt, eine zerstörerische Ader hat. Im Jahr 2013 trat das Wasser des Flusses über die Ufer, nachdem der größte Sturm in der Geschichte der Philippinen, der Taifun Haiyan, heftige Regenfälle gebracht hatte. Die Windgeschwindigkeit betrug 200 Meilen pro Stunde. Das Hochwasser reichte bis über die Dächer der Häuser. Das sonst so klare Wasser des Flusses hatte die Farbe von Kaffee. Der Fluss hatte seine Zerstörungskraft bereits im Jahr 1982 unter Beweis gestellt, als eine hölzerne Füßgängerbrücke einstürzte. Es gab dutzende Tote. In den vergangenen Jahren wurde aus dem Gewässer ein Nebenfluss, da der Metropolitan Cebu Water District“ einen Damm errichtete.
„Hilf uns, Großmutter!“
In dem Moment als Lucia aufbricht, um etwas zu unternehmen, hört sie Menschen darüber reden, dass der Damm gebrochen sei. In Hauskleid und Hausschuhen läuft sie zum Flussufer. Sie trifft ihr 15-jähriges Enkelkind. „Hilf uns, Großmutter!“, schreit das Kind. Lucia sagt dem Jungen, er solle sich in der Kapelle des Viertels in Sicherheit bringen. In nur einer Stunde ist das Wasser des Flusses in die Häuser eingedrungen und reicht Lucia bereits bis zu den Knien. Nach fünf Stunden reicht das Wasser bis über Lucias Schultern. Auf seinem Höchststand steht das Wasser fast drei Meter hoch.
Als sie das Katastrophengebiet absucht, in dem Familien in Panik alles retten, was sie können – Fernseher, Kühlschränke, Haustiere, Reissäcke und Kleidersäcke -, bemerkt sie in der Nähe des Hauses ihrer Tochter einen Wasserstrudel, der wie von einer unsichtbaren Kraft zurückgedrückt wird. Lucia blickt nach oben und sieht einen etwa zwei Meter hohen Strauch aus einheimischem Tinik-Bambus, der etwa zwei Meter hoch ist. Die Bambuspflanzen haben das Wasser wie einen Magnet zurückgehalten. Ein Moment mit Signalwirkung für Lucia. Sie erkennt, dass Bambus das Potenzial hat, Menschen vor heranrauschenden Wasserfluten zu schützen.