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Erzbistum Paderborn
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„Präventionsarbeit ist Brandschutz“

Prävention sexualisierter Gewalt: Welche Maßnahmen zukünftigen Missbrauch im Erzbistum Paderborn verhindern sollen

Als er die Schlagzeilen zum Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising las, stieg im Inneren von Stefan Beckmann ein Gefühlscocktail hoch. Er ist Referent im Team Prävention im Paderborner Generalvikariat, spürte Wut und Fassungslosigkeit. Gepaart mit dem Unverständnis, dass Menschen solche schrecklichen Taten so lange zurückhielten. Ähnlich ging es Vanessa Meier-Henrich, Präventionsbeauftragte des Erzbistums Paderborn. Sie beschreibt hinsichtlich des ab dem Jahr 1945 untersuchten Zeitraumes im Gutachten: Sehr viele Machtbeziehungen im Bereich von Kirche und katholischen Einrichtungen seien damals noch nicht hinterfragt worden. Und: „Es gab einfach keine Prävention sexualisierter Gewalt, wie wir sie mittlerweile kennen.“

Die Nachrichten nach der Veröffentlichung des Gutachtens: fast durchgehend negativ. Denn die Anschuldigungen wiegen schwer. Was bei den Erkenntnissen zum Thema Missbrauch durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete beinahe untergangen ist: die Arbeit und das Bemühen im Hier und Jetzt, genauer gesagt die Präventionsarbeit sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche. Laut Münchner Gutachten sei mittlerweile „ein entschlossenes Bemühen der Erzdiözese festzustellen, den Umgang mit Fällen des sexuellen Missbrauchs fortlaufend und entscheidend zu verbessern.“ Zum Bereich der Prävention heißt es: „Die diesbezüglichen  Anstrengungen werden oftmals als vorbildhaft angesehen und verdienen große Anerkennung.“

Prävention sexualisierter Gewalt jetzt fest verankert

Es sind Beobachtungen wie diese, die Stefan Beckmann oder Vanessa Meier-Henrich trotz der Aufdeckungen in Missbrauchsgutachten positiv stimmen: Die Präventionsarbeit, die mittlerweile deutschlandweit in der deutschen katholischen Kirche fester Bestandteil des Alltags ist, ist im gesellschaftlichen Vergleich eine der besten. „Viele Institutionen schauen sich bei der katholischen Kirche ab, was hier im Bereich Prävention passiert“, schildert Beckmann. „Während andere Institutionen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit zum Teil erst anfangen, sich so richtig mit dem Thema auseinanderzusetzen, sind wir ein ganzes Stück weiter.“ Auch Player aus dem Freizeitbereich – Sport- oder Schützenvereine – kämen mittlerweile auf die Kirche zu, um sich ihre Präventionsarbeit genauer anzuschauen.

Prävention bedeutet dabei, für den Schutz von Menschen gegen sexualisierte Gewalt zu sorgen, im kirchlichen Kontext besonders von Kindern, Jugendlichen und schutz- und/oder hilfebedürftigen Erwachsenen. Aber wo genau setzt Prävention in Kita, Krankenhaus oder Altenpflege an? Wer Vanessa Meiner-Henrich und Stefan Beckmann aus dem Team Prävention fragt, bekommt eine eindeutige Antwort: „Präventionsarbeit ist Brandschutz“. Verbunden mit vielen Themenfeldern. Was braucht es, damit es in katholischen Einrichtungen nicht zu sexuellen Übergriffen kommt? Wie können Grenzverletzungen erkannt werden? Was tue ich, wenn mir eine Situation komisch vorkommt? „Für uns geht es um eines“, beschreibt Vanessa Meier-Henrich: „Die Zeit vom Deckmantel des Schweigens muss enden. Wenn wir Situationen nicht in Ordnung finden, soll das offen angesprochen und schnell geklärt werden können.“ Denn Prävention sei eben kein Feuerlöscher, so Stefan Beckmann. Im Gegenteil: Prävention habe das Ziel, dass „Brände“, wie sexuelle Übergriffe oder Missbrauch, schon vor dem Entfachen gestoppt werden.

Eine Reaktion auf das Versagen bei den Missbrauchsfällen

Wie das gelingt? Meier-Henrich und Beckmann sprechen von einer „Kultur der Achtsamkeit“, die integraler Bestandteil jeden kirchlichen Angebots sein solle. Es geht darum, wie miteinander eine glaubhafte und sensible Kirche gelebt werden kann.

Miteinander und gemeinsam: Worte, die Vanessa Meier-Henrich und Stefan Beckmann oft gebrauchen. Nur wenn miteinander gesprochen werde, fallen Grenzverletzungen auf, die ohne Eingreifen zu sexualisierter Gewalt werden können. Nur gemeinsam im Austausch mit Gemeinden, katholischen Einrichtungen und auch Betroffenen sei es möglich, aus der Vergangenheit zu lernen, flächendeckend wirksame Präventionskonzepte zu erarbeiten und Schulungen für Mitarbeitende durchzuführen. Das gehört als Koordinationsstelle für die bistumsweite Präventionsarbeit ebenso zu den Aufgaben wie die NRW- und deutschlandweite Vernetzung, für die Vanessa Meier-Henrich als Präventionsbeauftragte zuständig ist.

Prävention muss im Alltag gelebt werden

Das konsequente Bemühen hin zu einer guten Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt ist nicht ohne einen Blick auf die Missbrauchsfälle zu sehen. Schließlich sei die Prävention in gewisser Weise auch eine Reaktion auf das Versagen, aus dem Kirche gelernt hat. Risikobehaftete Strukturen wurden verändert oder existieren nun bewusster. Mitarbeitende, die mit Kindern, Jugendlichen und schutz- und/oder hilfebedürftigen Erwachsenen arbeiten, müssen eine Präventionsschulung absolvieren, diese regelmäßig auffrischen und ein Führungszeugnis vorlegen. Auch institutionelle Schutzkonzepte sind Pflicht.

„Prävention muss aber auch gelebt werden. Es darf kein starres Konstrukt sein, Konzepte dürfen nicht in der Schublade verschwinden. Jeder von uns muss bewusster leben und achtsamer für sexualisierte Gewalt oder kritische Situationen sein“, sagt Vanessa Meier-Henrich. Stefan Beckmann ergänzt: „Genau genommen funktioniert Prävention gut, wenn Grenzverletzungen gar nicht mehr kritisch gesehen werden. Denn dann haben wir gelernt, über Grenzverletzungen, aus denen sexualisierte Gewalt resultieren kann, zu sprechen.“

Kurz erklärt

Grenzverletzungen sind einmalige oder gelegentliche Handlungen, die unabsichtlich die persönliche Grenze eines anderen Menschen überschreiten. Ursache sind oft Nichtwissen oder Unachtsamkeit. Ein Übergriff geschieht hingegen bewusst, ob in psychischer oder körperlicher Form.

Sexualisierte Gewalt kann von Worten bis zu Taten reichen. Dabei wird eine andere Person ohne Zustimmung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Täterinnen und Täter benutzt.

Die beste Reaktion? Überhaupt reagieren

Die „Kultur der Achtsamkeit“ fängt schon damit an, das eigene Verhalten zu reflektieren. Bereits Worte können, wenn auch unbeabsichtigt, Grenzverletzungen darstellen. Ebenso scheinbar harmlose Berührungen. Ein schmaler Grat, gehört Nähe doch zum Menschsein, zur Kirche dazu. „Wir wollen nicht aus jedem Funken direkt ein Feuer machen“, sagt Stefan Beckmann. „Deshalb ist es wichtig, eine Sensibilität zu entwickeln und Grenzen vorher abzustecken, damit diese Nähe möglichst nicht ausgenutzt werden kann. Prävention muss im Alltag ein Dauerthema bleiben.“

Klar ist: Grenzverletzungen komplett zu verhindern, ist nicht möglich, sagt Stefan Beckmann: „Wir schaffen keine sicheren Orte, sondern sicherere Orte.“ Mit der klaren Zielrichtung: „Wir wollen verhindern, dass aus einer Grenzverletzung ein Übergriff wird“, erklärt Vanessa Meier-Henrich.

Deshalb lernen Mitarbeitende in den Präventionsschulungen unter anderem, welche Handlungsschritte nötig sind, wenn kritisches Verhalten auffällt. Oder woran sich jenes überhaupt festmachen lässt. Statistisch gesehen braucht eine von sexualisierter Gewalt betroffene Person derzeit nämlich sieben Ansprechpersonen, bis ihr geglaubt wird. „Wenn ich dagegen vorher in Übungssituationen damit konfrontiert werde und weiß, wie ich handeln muss, kann ich schneller eine verlässlich helfende Person sein“, beschreibt Stefan Beckmann. Wie man richtig reagiert? Indem man überhaupt reagiert.

Erklärvideo: Prävention sexualisierter Gewalt

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Missbrauchsfälle sollen sich nicht wiederholen

Vanessa Meier-Henrich und Stefan Beckmann wissen, dass sie sich in ihren Aufgaben für eine gute Sache einsetzen und zusammen mit den vielen Präventionsfachkräften und Schulungsreferentinnen und –referenten eine Kultur des Miteinanders schaffen. Und dennoch werden sie auch dabei immer wieder von den Missbrauchsfällen der Vergangenheit eingeholt. „Ihr macht das doch nur, weil ihr etwas vertuschen wollt“, heißt es vorwurfsvoll dann. „Dabei ist es genau andersrum: Wir machen das, damit so etwas nie wieder passiert“, sagt Präventionsbeauftragte Vanessa Meier-Henrich.

Nur selten geht der Blick auf das, was im Hier und Jetzt funktioniert. Oft ist der Schatten, den die Missbrauchsfälle werfen, zu mächtig. Deshalb, so Meier-Henrich und Beckmann, sei es wichtig, zu differenzieren: was früher an Versagen da war, was seitdem an Veränderungen auf den Weg gebracht worden ist. Und was heute an Gutem geschieht und umgesetzt wird. Der Stellenwert der Prävention sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen der katholischen Kirche sei jedenfalls so hoch wie fast nirgendwo. Bei all dem negativen Schlaglicht, das jedes Missbrauchsgutachten mit sich bringt, ist die Prävention da doch ein starker Lichtblick.

Prävention im Erzbistum Paderborn

Die derzeit geltende „Rahmenordnung Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen“ der Deutschen Bischofskonferenz existiert seit September 2010. Bis heute wurde die Rahmenordnung zweifach überarbeitet, zuletzt im Jahr 2019.

Zusammen mit den anderen (Erz) Bistümern in Nordrhein-Westfalen hat sich das Erzbistum Paderborn auf gemeinsame Anforderungen und Vorgaben zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt verständigt. Die daraus resultierende Präventionsordnung wurde im Jahr 2014 veröffentlicht. Dort sind unter anderem die Errichtung einer diözesanen Koordinationsstelle und Präventionsschulungen für Mitarbeitende festgehalten. Diese Ordnung bildet die Grundlage für die Präventionsarbeit im Erzbistum Paderborn und kann hier nachgelesen werden.

Seit 2011 haben bis heute über 65.000 ehrenamtlich und hauptamtlich tätige Frauen und Männer die Präventions-Erstschulungen absolviert.

Ein Beitrag von:
© Besim Mazhiqi / Erzbistum Paderborn
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Till Kupitz

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