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(Schul)Frieden fängt im Kleinen an

Interivew mit Schulseelsorger Christian Haase über die Bewahrung von Frieden bei jungen Menschen.

Interview mit Christian Haase, Schulseelsorger und Religionslehrer an der Hildegardis-Schule in Hagen

Wer erinnert sich nicht an die Schulzeit. An die vielen tollen, aber vielleicht auch nicht ganz so schönen Momente. Denn auch Konflikte und Streitigkeiten sind völlig normal. Wie gehen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene am besten damit um? Müssen wir Menschen erst erlernen, was es heißt, Frieden herzustellen? Christian Haase ist Schulseelsorger am Hildegardis-Gymnasium in Hagen und einer der ersten Ansprechpartner, wenn es um Probleme und Konflikte an der Schule geht. Er erzählt, was die Auslöser sind – und welche Lösungen es gibt.

 

Redaktion

Herr Haase, wo ergeben sich im Schulkontext die meisten Konflikte?

Christian Haase

Wenn sich Gruppen neu bilden. Bei den Jüngeren geht es häufig um Freundschaften. Es kommen plötzlich nach der Grundschule neue Leute hinzu – und dann hat der Freund oder die Freundin plötzlich einen anderen Freund oder eine Freundin. Das ist ein großes Thema: auszuhalten, dass Freundschaften sich verändern können, neue Leute von außen hinzukommen. Bei den Älteren sind hingegen oft die sozialen Netzwerke ein Thema, wenn es um Konflikte und Streitigkeiten geht.

Redaktion

Wenn es an Ihrer Schule zu solchen Konflikten kommt, sollen an erster Stelle Schülerinnen und Schüler als Streischlichtende sie lösen.

Christian Haase

So ist es. Dieses Prinzip des Streitschlichtens gibt es bei uns seit vielen Jahren. Auf dem Gebiet werden dazu einige Schülerinnen und Schüler von einem Kollegen hier ausgebildet. An einem gemeinsamen Wochenende lernen sie, wie man mit Konflikten umgeht. Und dann bekommt jede Klasse einen Streitschlichter zugewiesen, der oder die bei Konflikten zur Hilfe gerufen werden kann. Sie versuchen bei Konflikten zu erarbeiten, was es heißt, friedlich in einer Gemeinschaft zusammen zu leben – auch wenn man mit anderen gerade mal nicht so gut kann. Was bin ich dann bereit, für den Frieden zu tun?

 

Frieden fängt auch an der Schule ganz im Kleinen an. Foto: Shutterstock / Halfpoint
Redaktion

Wie gut gelingt es den Streitschlichtern, zwischen den einzelnen Parteien zu vermitteln?

Christian Haase

Sie kriegen das alles gut hin. Die Klassen sollen eben versuchen, die Konflikte von allein zu lösen. Gerade das ist in meinen Augen in den letzten Jahren nämlich schwieriger geworden. Woran genau das liegt, lässt sich nur schwer sagen. Aber soziale Medien spielen da sicherlich auch eine Rolle. Wir merken: Viele müssen erstmal lernen, überhaupt wieder in Diskussionen zu gehen, miteinander zu reden, sich Argumente anzuhören. Um dann zu merken: Wie löse ich einen Konflikt im Gespräch – ohne Beleidigungen oder Gewalt.

Redaktion

Wie meinen Sie das?

Christian Haase

Ich glaube tatsächlich, dass besonders WhatsApp eine große Rolle spielt. Ich sage in den Klassen immer: Ihr könnt über eine App nicht einen Streit lösen. In der digitalen Welt sind die Hemmungen einfach geringer. Man schreibt eher mal etwas nicht ganz so Nettes in einer Nachricht, als es direkt ins Gesicht zu sagen. Die Chat-Gruppen in den sozialen Medien haben dann nochmal eine ganz eigene Dynamik. Dort fühlen sich Leute sogar angestachelt, etwas zu schreiben. Da wird nach der Schule von zuhause ganz unbedarft noch etwas Böses geschickt – und dann ist der Konflikt am nächsten Tag plötzlich da, wenn man sich persönlich sieht.

Redaktion

Wie bewusst ist den jungen Menschen, welche Folgen das haben kann, was sie im Internet schreiben?

Christian Haase

Der Bildschirm ist ein guter Filter. Ich sage immer: Macht euch bewusst, dass am anderen Ende immer noch ein Mensch sitzt, der genauso verletzt werden kann wie ihr selbst. Das ist den jungen Menschen oftmals nicht ganz klar, glaube ich. Ein großer Unterschied zu früher: Da haben wir uns auch in der Schule gestritten, gingen danach aber nach Hause, haben mit einem Freund über das Problem gequatscht und gut war’s. Heute bleiben die jungen Menschen aber auch nach Schulschluss in der Spirale, diskutieren und schreiben immer weiter. Das sind neue Dimensionen.

„Frieden zu haben, ist nicht selbstverständlich. Es ist etwas, das gewahrt werden muss, wofür man sich einsetzen muss, für das man auch Kompromisse schließen muss. Das Thema Frieden wird in Deutsch, Politik, Geschichte, Sozialwissenschaft oder Religion behandelt. Und da fängt es wieder im Kleinen an: Mit Kinderbüchern oder im Gottesdienst bei den Fürbitten. So machen wir das Thema immer wieder bewusst. Frieden ist hierzulade für uns ja dann doch so selbstverständlich, dass wir es oft kaum noch wahrnehmen.”

 

Christian Haase, Schulseesorger in Hagen

Redaktion

Haben die Schülerinnen und Schüler denn ein Verständnis von Frieden? Oder muss man ihnen das erst beibringen?

Christian Haase

Ich glaube, dass die meisten das erstmal erlernen müssen. Deswegen bin ich froh, dass wir an unserer Schule auch junge Menschen aus Syrien oder Afghanistan bei uns haben. Die vor einem Krieg flüchten mussten und deutlich machen: Frieden zu haben, ist nicht selbstverständlich. Es ist etwas, das gewahrt werden muss, wofür man sich einsetzen muss, für das man auch Kompromisse schließen muss. Das Thema Frieden wird in Deutsch, Politik, Geschichte, Sozialwissenschaft oder Religion behandelt. Und da fängt es wieder im Kleinen an: Mit Kinderbüchern oder im Gottesdienst bei den Fürbitten. So machen wir das Thema immer wieder bewusst. Frieden ist hierzulade für uns ja dann doch so selbstverständlich, dass wir es kaum noch wahrnehmen. Deshalb setzen wir in der Lebenswelt der jungen Leute an und arbeiten uns dann an das größere Thema Frieden heran.

Redaktion

Weil Frieden im Kleinen anfängt?

Christian Haase

Genau. Wir sprechen ja auch oft gar nicht über den Frieden. Das schwingt immer eher unterschwellig mit. Überall, wo Menschen miteinander arbeiten, können Konflikte entstehen. Der Frieden ist dahingehend auch im Kleinen ein zerbrechliches Konstrukt. Junge Leute erleben in den Medien und sozialen Netzwerken heute oft sehr radikale Positionen. Da merke ich, dass es schwieriger geworden ist, auch mal auszuhalten, sich andere Positionen anzuhören, die eigene Meinung zu überdenken. Das ist ein großer Lernprozess.

Redaktion

Hat sich die Corona-Krise in Bezug auf den Schulfrieden ausgewirkt?

Christian Haase

Die Schülerinnen und Schüler waren deutlich mehr bei sich. Wenn sie in der Schule waren, waren andere Themen plötzlich wichtiger. Wenn überhaupt, dann gab es eher weniger Konflikte, weil der Zusammenhalt in der Gemeinschaft stärker geworden ist. Alle sind näher zusammengerückt.

Redaktion

Sie befassen sich auch in Ihrer Rolle als Schulseelsorger eng mit dem Thema. Wie genau sieht Ihre Arbeit dahingehend aus?

Christian Haase

Die Schülerinnen oder Schüler melden sich bei Problemen bei mir. Manchmal kommen auch Kollegen auf mich zu. Dann hole ich die Beteiligten an einen Tisch und gucke, was los ist. Wir arbeiten den Konflikt mithilfe von Gesprächen oder Spielen auf. Hin und wieder vermittle ich sogar zwischen Eltern, die sich bei bestimmten Konflikten nicht einigen können und versuche, gemeinsam Kompromisse oder Lösungen zu finden.

Redaktion

Einander zuhören, ist das nicht heutzutage auch schwieriger geworden?

Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Aber es ist so. Den anderen ausreden zu lassen, zu verstehen, sich in die andere Person hineinzuversetzen, das ist ganz wichtig. Das klärt oft schon ganz viel und ist der erste große Schritt, um Frieden herzustellen.

Redaktion

Vielen Dank für das Gespräch.

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