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Süßer die Glocken nie klingen
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
„Man zieht an einem Strick“, sagt Pastor Martin Hufelschulte und tut genau das. Hinter ihm erklingt ein heller Ton, als der Klöppel an die Glockenwand anschlägt. Hufelschulte, der seit diesem Jahr auch Glockensachverständiger im Erzbistum Paderborn ist, braucht kaum Kraft, um den kiloschweren Klöppel zu bewegen, weil er ihn zuvor „ungefähr eine Faustbreit“ an die Glockenwandung herangespannt habe. So haben er und die anderen Mitglieder des Beier-Teams acht Glocken der Kirche St. Cäcilia präpariert und können nun Rhythmen oder Melodien auf ihnen spielen. Damit ist eine jahrhundertealte Tradition eigentlich schon erklärt: das Beiern. Doch keine Erklärung reicht an das Gefühl heran, unten am Fuß des Kirchturms zu stehen und zuzuhören, wie sich aus einzelnen Tönen langsam bekannte Kirchen- und Adventslieder formen.
Eine alte Tradition
In Westönnen, einem Ortsteil von Werl im Kreis Soest, wird an der Kirche St. Cäcilia das Beiern lebendig gehalten. Glockenläuten ist den meisten Menschen ein Begriff – Beiern hingegen weniger. Das Beiern unterscheidet sich vom Läuten in zwei Punkten: Zum einen schwingen beim Läuten Glocke und Klöppel, beim Beiern steht die Glocke still. Zum anderen wird beim Beiern der nah an die Glockeninnenwand herangezogene Klöppel von Hand bewegt, was den Ton erzeugt.
Einst war das Beiern in vielen Gemeinden des Erzbistums Paderborn verbreitet, weil das manuelle Läuten der schweren Glocken sehr anstrengend war. Bis etwa 1958 war das auch in Westönnen so. Dann wurde eine elektrische Läutemaschine eingebaut, mit der die Glocken ohne menschlichen Kraftaufwand geläutet werden konnten. Beiern konnte die Maschine allerdings nicht. Der Brauch geriet schon bald in Vergessenheit.
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Einstimmung auf den Advent
Bis zum Jahr 2006. Ortsheimatpfleger Werner Wanders und der gebürtige Westönner Martin Hufelschulte hatten damals einen älteren Herrn kennengelernt, der früher an St. Cäcilia gebeiert hatte. Angeregt durch seine Erzählungen haben sie das Beiern im Ort wiederbelebt. Mittlerweile führt eine ganze Beier-Gruppe den Brauch fort, darunter auch Nachwuchskräfte wie Sebastian und Tobias Schlünder. Schon bald hatte die Gruppe damit begonnen, im Advent richtige Konzerte zu geben – die sind längst eine feste Tradition im Dorf geworden. Bei „Tochter Zion“ und „Wir sagen euch an, den lieben Advent“ versammelt sich die Dorfgemeinschaft um den Kirchturm. Und auch für die Beierer oben im Turm ist es jedes Jahr auf’s Neue eine besondere Einstimmung auf den Advent.
Beiern hautnah erleben
Wie in Westönnen gebeiert wird, können auch Gäste von außerhalb an den Adventswochenenden live erleben. Auf Anfrage nimmt Martin Hufelschulte Interessierte auch mit zum „Schnupperbeiern“ in den Glockenstuhl. Dafür darf man ihn gerne per Mail kontaktieren: hufelschulte@pr-ael.de
Wer es in diesem Jahr selbst nicht mehr nach Westönnen schafft, der kann hier einen kleinen visuellen und vor allem akustischen Eindruck vom Beiern gewinnen: Mitarbeitende der Abteilung Kommunikation des Erzbistums Paderborn waren nämlich in Westönnen und haben Aufnahmen gemacht. Viel Freude beim Anhören und eine weiter besinnliche Adventszeit!
Tochter
Zion
Wir sagen euch an
den lieben Advent
O du
Fröhliche
Stille
Nacht
Macht hoch
die Tür
Großer Gott
wir loben dich
Das Beiern als gelebte Tradition im Erzbistum Paderborn
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Beiern, das manuelle Anschlagen von Kirchenglocken, war früher in vielen Orten des heutigen Erzbistums Paderborn verbreitet und diente nicht nur der Ankündigung kirchlicher Feste, sondern auch als Ausdruck von Freude oder Trauer zu besonderen Anlässen. Es gab zum Beispiel bestimmte Tonfolgen, die gebeiert wurden, wenn ein Mann, eine Frau oder ein Kind im Ort verstorben waren. Mit dem Aufkommen elektrischer Läutemaschinen nahm das Beiern zumindest in katholischen Gebieten ab.
An einigen Kirchen in der Soester Börde oder im Sauerland sowie im hessisch-waldeckischen Teil des Erzbistums haben Beier-Bräuche überlebt. Anderswo werden sie neubelebt: neben Westönnen hat zum Beispiel auch die Paderborner Pfarrei St. Liborius seit diesem Jahr ein Beier-Team. In Neuenbeken, wo Hufelschulte derzeit als Priester eingesetzt ist, und an anderen Orten entstehen derzeit ähnliche Gruppen. Das Beiern ist ein lebendiges – und weithin hörbares – Zeichen dafür, wie kirchliche Traditionen unterschiedliche Menschen, jung und alt, verbinden können – und das, obwohl sie Jahrhunderte alt sind.
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Glockenkonzert für den neuen Erzbischof
Die Westönner Beier-Gruppe hat zur Amtseinführung von Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz ein besonderes Konzert gespielt: An fünf Paderborner Kirchen haben sie mit Liedern und Melodien ihr Können und ihre Kunst bewiesen. Mehr darüber lesen Sie in dieser Reportage.