„Wir schaffen das!“ Neue Hoffnung schöpfen die Frauen des internationalen Treffs der Caritas Paderborn unter der Leitung von Anita Förster. Mit dabei: Adama, Gülcan, Zarifa, „Oma“ Zahra und Rahel (von links). Foto: Markus Jonas
"Dich habe ich ja lange nicht gesehen", ruft Anita Förster und umarmt den gerade eingetroffenen Gast. Gülcan K. lacht und erwidert die freundliche Begrüßung. Heute hat sich ein kleinerer Kreis als sonst beim internationalen Frauentreff der Caritas Paderborn zusammengefunden. Mittwochvormittags treffen sich Frauen aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea oder Guinea auf Einladung des Psychosozialen Zentrums der Caritas, um sich bei Kaffee, Tee und Keksen auszutauschen und sich gegenseitig ihr Herz auszuschütten.
"Ich habe oft erlebt, dass Frauen nur auf ihren Fluchtgrund und ihr Herkunftsland reduziert wurden", erzählt Anita Förster, Sozialarbeiterin der Caritas Paderborn, die den Treff leitet. "Hier erleben sie sich als Menschen, als Frauen - nicht als Nummer in einem bürokratischen System." Die Atmosphäre ist herzlich. Mit einigem Hallo und Umarmungen werden die weiteren Gäste begrüßt, die nach und nach eintreffen. Die von allen "Oma" genannte Zahra R. bringt Kaffee aus der Küche. Der gut ausgestattete Treffpunkt wird der Caritas-Gruppe von der Koordinierungsstelle für Flüchtlingsangelegenheiten der Stadt Paderborn zur Verfügung gestellt.
Die Frauen kommen aus sehr unterschiedlichen Kulturen von verschiedenen Kontinenten - ebenso unterschiedlich sind ihre Geschichten. Verstehen tun sie sich trotzdem - wenn auch nicht immer mit Worten. "Oma" Zahra aus Afghanistan etwa ist Analphabetin. In ihrem Heimatland hatte sie keine Schulbildung, war als Kuhhirtin tätig. Ihr ganzer Stolz war ihre eigene Kuh. In Deutschland fällt es ihr schwer, sich zurechtzufinden. Deutschkurse überfordern sie. Doch der Frauentreff gibt ihr etwas anderes: Gemeinschaft. "Gerade Frauen wie Zahra würden ohne solche Angebote vereinsamen", erklärt Anita Förster.
Unterstützung bekommt Zahra von ihrer Landsfrau Zarifa R., die ihr immer wieder Teile der Konversation auf Farsi übersetzt. Diese ist hochgebildet, hat studiert und sich in Afghanistan für Frauenrechte eingesetzt. Als die islamistischen Taliban die Herrschaft übernahmen und Frauen ihrer Rechte beraubten, floh sie allein aus dem Land. Wegen einer schwerwiegenden körperlichen Beeinträchtigung war sie monatelang im Krankenhaus, konnte nicht an Sprachkursen teilnehmen und brachte sich selbst Deutsch bei. Der Austausch mit den anderen Frauen hilft ihr sehr. Es erleichtere sie in gewisser Weise, dass auch andere vor großen Problemen stehen. "Darüber zu sprechen, hilft", sagt sie und lächelt.
Anita Förster leitet den Frauentreff seit seinen Ursprüngen 2016 als bundesgefördertes Empowerment-Projekt in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Rüthen. An vier Tagen in der Woche organisierte sie einen Frauentreff mit niedrigschwelligen Angeboten - Kreativangebote, Aktivitäten rund um das Thema Gesundheit, aber vor allem auch als geschützter Raum für die Frauen. "Man muss sich vorstellen: In einer solchen Einrichtung passiert im Alltag oft nicht viel", erzählt Anita Förster. "Aber zwei Stunden am Tag konnten wir uns treffen. Wir haben unglaublich viel gelacht, manchmal geweint, waren verzweifelt, aber wir haben auch viele schöne Feste gefeiert."
Als die ZUE in Rüthen geschlossen wurde, wurde der internationale Frauentreff nach Paderborn verlagert. Doch dann wurde die bundesweite Förderung urplötzlich gestrichen, vielerorts mussten Flüchtlingsprojekte beendet und die dafür eingestellten Mitarbeiter gekündigt werden. Bei der Caritas Paderborn konnte der Treff aber dem Psychosozialen Zentrum angedockt werden. Denn: "Empowerment und psychische Gesundheit sind ganz eng miteinander verbunden", erklärt Anita Förster. "Das Empowerment, die Ertüchtigung der Frauen, ist ein ganz wichtiger Schritt, psychische Gesundheit zu erlangen." Den Verantwortlichen sei klar gewesen, dass der Frauentreff bestehen bleiben muss.
Für die Frauen ist der Treff ein Anker in einer unsicheren Lebensphase. "Viele Frauen leben in prekären Unterkünften, oft mit ihren Familien in engen Gemeinschaftsräumen", sagt Förster. "Sie wissen nicht, was morgen passiert, ob sie bleiben dürfen oder erneut umziehen müssen." Die Angst vor der Zukunft sei allgegenwärtig. "Es dauert oft Jahre, bis sie einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Solange sind sie in der Schwebe." Im Treff kann für ein paar Stunden Normalität einkehren. "Die Frauen spüren: Wir sind nicht allein mit unseren Sorgen", sagt Förster. "Sie stärken sich gegenseitig. Jede bringt ihre eigenen Fähigkeiten mit - und gibt sie weiter."
Tauschen sich im Caritas-Treff bei Kaffee, Tee und Keksen über ihre Sorgen und Nöte aus: Frauen von drei Kontinenten. Foto: Markus Jonas
Hoffnung - das ist es, was dieser Treff vermittelt. Nicht durch große Versprechen, sondern durch kleine Gesten, durch Zusammenhalt. "Ich begleite einige Frauen auch in psychosozialen Einzelberatungen", sagt Förster, die eine Ausbildung als Fachberaterin für Psychotraumatologie absolviert hat. "Dort erlebe ich sie oft als verzweifelt und hilflos. Aber hier im Treff, sind sie voller Energie, voller Lebensfreude. Sie lachen, sie glauben an sich - und an eine Zukunft."
Auch Rahel M. aus Eritrea ist ein Beispiel dafür. Geflohen aus einer Militärdiktatur, in der Männer und Frauen oft jahrzehntelang im Militärdienst ausgebeutet und missbraucht werden, lebte sie in Deutschland jahrelang in Unsicherheit, wartete auf ihren Aufenthaltstitel. Diese Belastung zehrte an ihr. Doch inzwischen hat sie einen B1-Sprachkurs absolviert und wagt die nächsten Schritte. "Diese Frauen sind so mutig", sagt Förster bewundernd. "Trotz aller Hindernisse sagen sie: Ich gehe weiter." Unermüdlich spricht Anita Förster den Frauen Mut zu, erinnert sie in verzweifelten Augenblicken an das, was sie schon geschafft haben.
Etwa bei Adama C. aus Guinea. Sie ist aus einer verzweifelten Situation geflohen, nachdem ihr ein Messer in den Hals gerammt worden war. Ihre vier teils noch minderjährigen Kinder hat sie in der Obhut ihrer Großfamilie zurücklassen müssen, in der Hoffnung, sie schnell nachholen zu können. Doch nun verzehrt sie sich in Sorge um sie. Als sie von ihrer Situation erzählt, wirkt sie innerlich sehr aufgewühlt. Anita Förster beruhigt sie. "Du kannst stolz darauf sein, was du schon alles geschafft hast." Denn Adama hat ihren B1-Deutschkurs beendet, arbeitet inzwischen als Alltagshelferin im Kindergarten. Die Frauen sind dankbar, dass sie soviel Unterstützung von Anita Förster erhalten. "Sie ist eine Mama für uns", sagt Rahel - und alle nicken.
Auch Gülcan, die mit ihrem Mann aus der Türkei vor den Verfolgungen durch Staatschef Erdogan geflohen ist. Tags zuvor hatte sie die fortgeschrittene B2-Deutsch-Prüfung. Aber: "Leider nicht geschafft", erzählt sie Anita Förster. "Wegen drei Fragen." Die tröstet: "Das ist auch eine sehr schwierige Prüfung. Beim nächsten Mal schaffst du das bestimmt."
Das Lernen ist nicht immer einfach für die Frauen. "Vor allem, weil sie sich mit so vielen Sorgen herumschlagen, ihr Kopf ist voll", erklärt die Sozialarbeiterin. Für einen Teil der Sorgen ist die deutsche Bürokratie verantwortlich. So kann Gülcans erwachsener Sohn, der erst vor elf Monaten aus der Türkei geflohen ist, nicht bei seinen Eltern und der jüngeren Schwester wohnen. Groß genug wäre die Wohnung. Aber er ist verpflichtet, in einer Zentralen Unterbringungseinrichtung zu leben. Oder die Frauenrechtlerin Zarifa, deren Studium in Deutschland nicht anerkannt wird. "Ich stehe bei Null", sagt sie sichtlich angefasst.
Anita Förster leitet den internationalen Caritas-Frauentreff in einer Einrichtung der Koordinierungsstelle für Flüchtlingsangelegenheiten der Stadt PaderbornFoto: Markus Jonas
Vielen Frauen werde es unnötig schwer gemacht, sagt Förster. "Es reicht nicht, geflüchtete Frauen - und auch Männer - nur unterzubringen. Sie brauchen echte Chancen zur Integration. Und sie brauchen Begegnungen mit der Gesellschaft. Wenn wir Menschen wirklich kennenlernen, entstehen Verständnis und Sicherheit", betont sie. "Hier im Frauentreff sitzen Frauen aus Ländern, die kulturell wenig gemeinsam haben. Aber weil sie Frauen sind, weil sie Menschen sind, erkennen sie dennoch viele Gemeinsamkeiten und sagen: Wir gehören zusammen. Warum sollte das nicht auch für unsere gesamte Gesellschaft möglich sein?"
Trotz aller Sorgen: Die Frauen im Treff haben sich gegenseitig. "Das sind alles meine Freundinnen", sagt Zarifa. Die Frauen lächeln sich an. Die gegenseitige Unterstützung gibt Hoffnung. Zum Abschluss des Treffens folgen sie einem liebgewonnenen Ritual: Die Daumen hochhalten und gemeinsam rufen: "Wir schaffen das!"
Markus Jonas